Was geht, was läuft, was kommt? Die Münchner Kunst nimmt wieder Fahrt auf – in den Galerien und den Museen
Der Herbst ist die Spaziersaison schlechthin. Es ist nicht mehr heiß, aber bestenfalls warm. Falls nicht, wickelt man sich entsprechend ein und marschiert ins Draußen. Dorthin, wo die Virenlast sich relativiert und verliert und die Vögel zwischen den Bäumen tanzen. Na gut: fliegen. Man atmet die glasklare Luft und schreitet über gelborange gesprenkelten Blätterboden. Weil man aber auch mal wo ankommen will, hat jetzt die Kunst Saison. Denn auch in Galerien und Museen lässt sich ganz wunderbar flanieren. Wer es nicht zum großen Galerieauftakt geschafft hat, muss sich nicht grämen, denn die meisten Ausstellungen laufen noch bis in den Oktober hinein.
Zum Beispiel die abstrakt bewegten Landschaften von Matthias Meyer – ein Schüler von Dieter Krieg und Gerhard Richter – in der Galerie Andreas Binder (bis 7. November). Die Galerie an der Pinakothek der Moderne – Barbara Ruetz kombiniert Malerei von Heng Li mit Skulpturen von Christian Pöller (bis 25. Oktober) und die Walter Storms Galerie zeigt Arbeiten des Malers Ulrich Erben (bis 31. Oktober). Der ehemalige Professor an der Kunstakademie Münster experimentiert mit Farb- und Formverhältnissen.
Was läuft – auf zum Galeriespaziergang
Um unser Verhältnis zur Natur geht es in der Doppelausstellung „Everything is going to be alright“ im DG Kunstraum (bis 29. Oktober). Maximilian Greiners mehrteilige Installation zum Thema Wald besteht aus einer schwebenden Baumschule und Arbeiten, die eine künstliche Intelligent geschaffen hat. Maximilian Prüfer reiste in eine Bergregion Sichuans, wo es in Folge massiven Pestizideinsatzes so gut wie keine Bienen mehr gibt. Also bestäuben die Menschen die Bäume selbst mit Hühnerfedern. Prüfer kaufte einen Birnbaum, den er selbst bestäubte und auch zur Ernte war er wieder dort. Das Ergebnis: eine Birne. Vielmehr das Bild davon. Quasi eine Symbolbirne. Vier mögliche Spazierziele – denn natürlich gibt es unendlich viel mehr zu sehen in den über 40 Galerien. Also bitte online stöbern und los spazieren oder sofort los spazieren und sich treiben und überraschen lassen. Obacht: teilweise muss man sich vor dem Besuch online anmelden, um die Besucherzahlen überschaubar zu halten.
Verlängert is – Haus der Kunst, Lenbachhaus und Villa Stuck
Und weil ja zwischendrin sämtliche Museen und Galerien Covid-bedingt geschlossen waren, wurden einige Ausstellungen verlängert. Wer also „Sheela Gowda. It Matters“ im Lenbachhaus noch nicht gesehen hatte, der kann und sollte das noch bis zum 18. Oktober nachholen. Diese erste museale Ausstellung der indischen Künstlerin in Deutschland ist raumgreifend. Also ihre Installationen. Ihre Materialien – wie zum Beispiel Kuhdung, Kokosfasern, Haare, Fäden, Steine, Teerfässern oder Abdeckplanen – findet sie in ihrer Umgebung. So erzeugt sie allein durch deren Beschaffenheit, Farbe oder Geruch narrative Atmosphäre und metaphorische Kraft. Hingehen.
Ebenfalls verlängert hat das Haus der Kunst die umfassende Werkschau „Franz Erhard Walther. Shifting Perspectives“ (bis 29. November). Das Lebensthema des 1939 in Fulda geborenen Künstlers ist die Aktivierung und Transformation von Körpern und Materialien im Raum. Das heißt: Man darf und soll aktiv werden. Ganz konkret körperlich, aber natürlich auch im Kopf. Zwei spannende Frauen – Margret Eicher und Beate Passow – gibt es noch bis 25. Oktober in der Villa Stuck zu sehen. „Lob der Malkunst“ zeigt Eichers großformatige Tapisserien, die die barocke Form der Bildteppiche nutzen um bekannte Motive aus den Medien in neue Zusammenhänge zu setzen. Passow entwirft in dem Bilderzyklus „Monkey Business“ eine Fabelwelt mit politischem Tiefgang.
Was kommt – Pinakothek der Moderne
Und dann geht es natürlich weiter, das kulturelle Kunstleben. Und das ist schön und gut so. Den Anfang macht eine Neupräsentation in der Pinakothek der Moderne unter dem Titel „Au Rendez-Vous des Amis“ (ab 29. September). Was man sich darunter vorzustellen hat? Ganz einfach: Klassische Moderne trifft Gegenwartskunst aus der Sammlung Goetz. Und so kann man selbst entdecken, wie die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts den Weg für einen freien Umgang mit Farbe, Linie und Raum bereitet hat. Es ist so ziemlich alles dabei, was Rang und Namen hat: Louise Bourgeois, Huma Bhabha, Ernst Ludwig Kirchner, Hans Arp, Aaron Curry, George Seagal oder Katja Strunz.
Gleiches Haus, andere Baustelle: „Die Architekturmaschine“ (ab 14. Oktober) heißt die neue Ausstellung des Architektur Museums der TU München. Thema ist der Einfluss des Computers auf die Architektur in vier Kapiteln von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart. In über 40 internationalen Fallstudien wird seine Entwicklung von der Zeichenmaschine über das Designwerkzeug bis hin zur digitalen Plattform nachvollziehbar. Auch die Ausstellung zum „Danner-Preis 2020“ findet Platz in der Pinakothek der Moderne: Seit 13 Jahren wird der Preis der Danner-Stiftung für herausragendes zeitgenössisches Kunsthandwerk aus Bayern vergeben und dieses Jahr feiert die Stiftung ihr 100-jähriges Gründungsjubiläum. Die Bandbreite der ausgezeichneten Arbeiten reich vom Schmuck, der mit Magneten, Zunder oder Eisenstaub spielt, bis zu Titanobjekten, Keramikgefäßen und Kerzenleuchtern. Zusätzlich wird der Bayer. Kgl. Hofgoldschmied Karl Rothmüller in der Ausstellung gewürdigt.
Was kommt – Lenbachhaus
Der Titel der Ausstellung „Die Sonne um Mitternacht schauen“ im Lenbachhaus (ab 29. September) ist einem Werkzyklus von Katharina Sieverding entliehen, die 1975 begann im fotografischen Großformat zu arbeiten und damals als Frau im Kunstbetrieb eine Seltenheit war. Da ist sie mit Maria Lassnig und Valie Export in bester Gesellschaft. Unter dem Motto „Gegenwartskunst aus dem Lenbachhaus und der KiCo Stiftung“ präsentiert das Lenbachhaus Positionen zur feministischen Kunst. Auch mit dabei sind Arbeiten von Rosemarie Trockel und Barbara Hammann, die Künstler des kanadischen Kollektivs General Idea oder auch Annette Kelm und Senga Nengudi – um nur ein paar der insgesamt 21 KünstlerInnen zu nennen.
Gerade im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, ist es gut, wenn man möglichst viel raus geht. Das hat sich das Lenbachhaus wohl auch gedacht und die Ausstellung über die gemeinsamen Jahres des prominenten Künstlerpaares Wassily Kandinsky und Gabriele Münter „Unter freiem Himmel“ (ab 13. Oktober) genannt. Gezeigt werden kleine Malereien und Fotografien, die auf zahlreichen Reisen in den Jahren 1902 bis 1908 entstanden. So kann man das aufeinander bezogene künstlerische Arbeiten erforschen: Sie näherten sich demselben Motiv, nutzen aber verschiedene Techniken und verwendeten unterwegs entstandene Fotografien als Vorlage für Zeichnungen, Holzschnitte und Gemälde.
Was kommt – Haus der Kunst
Wer oder was ist wann und wie öffentlich? Meistens bedeutet öffentlicher Raum: Konsum. Kapwani Kiwanga mach ein anderes Angebot, er schlägt mit seiner Installation „Plot“ eine Form des Zusammenlebens vor, in der Gegensätze wie Innen und Außen, Natur und Kultur, öffentlich und privat oder Idylle und Urbanität überwunden werden. Für die siebte Ausgabe der Serie Der Öffentlichkeit – Von den Freunden Haus der Kunst hat der in Paris lebende Kanadier eine künstlerische Intervention in drei Akten konzipiert. Neben aufblasbaren transparenten Skulpturen gibt es große Stoffbahnen, die die Wahrnehmung der Mittelhalle im Haus der Kunst verändern und den Besucher zu neuen Wegen inspirieren.
Auch einen Stock tiefer, im ehemaligen Luftschutzkeller des Haus der Kunst, gibt es eine ortsspezifische Arbeit zu sehen. Die Sammlung Goetz, die bereits mehrere Werkgruppen des in Rosenheim geborenen Künstlers Cyrill Lachauer besitzt, hat eine neue Installation eigens für diesen besonderen Ort in Auftrag gegeben. „Cockaigne – I am not sea. Ia m not land.“ beinhaltet Filme, Videos, Diaprojektion, Soundinstallation, Fotografien und Wandtexte. Der Titel bezieht sich auf das Gemälde „The land of Cockaigne“ von Pieter Bruegel d. Ä., in dem er das Schlaraffenland als utopisch-ironischen Gegenentwurf zum bäuerlichen Leben darstellt. Der in Berlin lebende Lachauer hat Regie, Ethnologie und Kunst studiert. Und genauso vielseitig wie vielschichtig ist auch seine Herangehensweise.
Was kommt – Museum Villa Stuck
Geschichte, Identität und Erinnerung – was ist zuerst da, was bleibt, was geht und wie hängen diese drei Begriffe zusammen? Diese Fragen umkreist Maya Schweizer mit ihren filmischen Arbeiten. Oft werden dabei urbane Räume als Schnittstellen individueller und kollektiver Handlungsweisen zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung. In der Wahrnehmung dieser Orte und Räume legt sie soziale Realitäten, eingeschriebene Erzählungen und sich überlagernde Geschichte und Geschichten frei. Unter dem Tirel „Maya Schweizer – Stimmen“ zeigt das Museum Villa Stuck eine Auswahl von zehn Filmen der letzten vierzehn Jahre. Zusätzlich produzierte Schweizer eine Arbeit neu, für die sie seit November 2019 wiederholt in München recherchiert und dreht. Sie selbst sagt dazu: „Von der Kanalisation aus – dem Inneren dieser Stadt – versuche ich mir eine Erinnerung an nicht-gesehene Bilder vorzustellen.“