Unsere Filmkritikerin Margret Köhler hat sich den neuen Film mit Birgit Minichmayr und Josef Hader in den Hauptrollen bereits angesehen
Eine schnurgerade Straße in wellenartiger hellgrüner Ebene, selten ein Auto, „eine Scheißgegend“ resümiert der Kollege, mit dem Polizistin Andrea sehnsüchtig auf Temposünder wartet, damit es weniger fad ist. Eine Gegend, wo die Frauen wegziehen und die Männer sich mit Waffen oder Alkohol vergnügen, Altherrenwitze gröhlen und auf plumpe Anmache stehen.
Für Andrea, die sich gerade scheiden lässt, scheint endlich eine Stelle in der nahen Stadt in Sicht – ausgerechnet im langweiligen St. Pölten – aber dann macht ihr das Schicksal einen Strich durch die Rechnung.
Nach einer feucht-fröhlichen Geburtstagsfeier läuft ihr der besoffene Noch-Ehemann nächtens vors Auto und sie begeht in Panik Fahrerflucht. Eine fatale Entscheidung. Noch fataler wird es, als der trockene Alkoholiker und Religionslehrer Franz Leitner glaubt, den tödlichen Unfall verursacht zu haben und sich „stellt“. Was nun? Schweigen oder die Wahrheit sagen?
Schwarzer Humor trifft auf scharfsinnige Beobachtung des gar nicht so heilen Landlebens. Kabarettist und Schauspieler Josef Hader, der schon mit 20 aus der Provinz nach Wien floh, entführt in seiner zweiten Regiearbeit nach „Wilde Maus“ in das niederösterreichische Weinviertel, wo man nicht eine Minute länger als nötig bleiben möchte.
Als Hauptfigur beweist Birgit Minichmayr erneut ihre großartige Schauspielkunst, diesmal als Ordnungshüterin, die das Unglück durch einen Karrieresprung abschütteln will und am Alltag zerbricht, auch wenn sie „wie ein Cowboy“ durch den Film stapft.
Mit Hader als verlottertem einstigem Spiegeltrinker, der durch die vermeintliche „Schuld“ aufblüht und „büßen“ will und dennoch wieder zur Flasche greift, bildet sie ein unschlagbares Außenseiterduo, das man schon wegen dessen Skurrilität und Eigensinn ins Herz schließt. Die lakonisch-witzigen Dialoge sind an Tragikomik nicht zu toppen, die Momente der Verlorenheit tun weh. Zwei, die nicht dazu gehören, aber auch nicht zusammen gehören.
Wenn der Franz sich unter der bunten Disco-Kugel einen Gin Tonic nach dem anderen reinkippt und ihn eine tanzgeile Katzenfreundin zuquatscht, oder jeder Dorfbewohner nach dem Todesfall „Mein Beileid“ murmelt, wo immer Andrea auftaucht (bis sie genervt ins Gebüsch kotzt), dann ahnt man das Grauen des dörflichen Nirgendwo mit emotionaler Erstarrung, Sprachlosigkeit und Stillstand. Obendrauf noch die optimale Dosis Ösi-Melancholie.
Dennoch eine nicht ganz verortete Provinz, die es in Europa von Brandenburg bis zur Bretagne gibt, mit aussterbenden Orten, Menschen mit Hornhaut auf der Seele, überforderten Männern, die in ihren Häusern oder Kneipen hocken und einer Frau, die sich in der altertümlichen Macho-Welt nur schwer durchsetzen kann. Dieser dunkel-schöne Provinz-Blues präsentiert keine Helden, sondern an der Realität Zerriebene, keine großen Dramen, sondern die vielen zerstörerischen kleinen. Wir schauen der unerträglichen Eintönigkeit des Seins zu, der Aussichtslosigkeit kleiner Ausbrüche, der verzweifelten Suche nach einem Fetzchen Liebe. Trotz aller Tristesse: Es geht Hader nicht ums Weglachen von Problemen, sondern um das Lachen in einer verfahrenen Situation, das manchmal im Hals stecken bleibt.
Margret Köhler
Der Film „Andrea lässt sich scheiden“ läuft in München in diesen Kinos.