Platten aus nah und fern im März

Von und mit Wallners, Tocotronic, Denison Witmer, Richard Dawson, Gary Louris, C Duncan, Tikhet, Sinem u.a.

Wallners – End Of Circles 

Die Wallners aus Wien sind etwas ganz Besonderes. Nicht nur, dass ich im Rahmen meiner Cigarettes After Sex-Affinität unweigerlich früher oder später per Algorithmus auf ihre wunderschönen Singles und die EP „Prolog 1“ stoßen musste. Es handelt sich hierbei auch um vier Geschwister, namentlich Anna (voc), Laurenz (p), Max (b) und Nino (g) Wallner, die mit ihrer traumwandlerischen Variante des Indie-Dream-Pop und deutlich hörbaren Reminiszenzen an die eben genannte Band von Greg Gonzalez aber auch an Bands wie Sigur Ros und Artverwandten, erinnern. Ganz großes Kino nun auch ihr Debütalbum „End Of Circles“ das sich ebenso stilsicher wie reduziert ganz oben einreihen dürfte in meiner 2025er Bestenliste.

Richard Dawson – End Of The Middle

Auch herrlich entspannt kommt Richard Dawson auf seinem neuen Album „End Of The Middle“ daher. Ungewöhnlich ruhig für seine Verhältnisse. Doch wer Dawson kennt, die/der weiß natürlich, dass auch seine experimentellen, zuweilen avantgardistischen Song-Extravaganzen niemals zu kurz kommen. So erinnert sein minimaler, spleeniger zudem knochentrockener Schräg-Folk zuweilen an die fantastischen Smog, an Will Oldham oder gelegentlich auch an Sufjan Stevens. Apropos schräg: schräg ist seine Stimme, schräg wie der Vogel, der hier durch seine Kompositionen zu flattern scheint, mal aufgeregt, wo’s dann schon auch mal (unfreiwillig) komisch bis anstrengend wird, manchmal aber auch besinnlich und gefühlvoll. Wer möchte – so wie ich – kann das gerne im Anti-Folk-Regal einsortieren. Prädikat: Erfrischend anders.

Denison Witmer – Anything At All

Dort könnte man auch Denison Witmer verorten. Wobei der Singer/Songwriter sehr viel mehr auf die Wohlklang-Karte setzt. Auf „Anything At All“ sind zehn ebenso lebhafte wie  nachdenkliche Folk-Pop-Songs zu hören. Und weil gerade eben schon die Schreibe von Sufjan Stevens war, der nämlich hat Witmers aktuelles Album aufgenommen, produziert und mitunter auch aktiv als Musiker mitgewirkt. Man hört das deutlich und das ist nicht nur gut so, sondern streckenweise sogar brillant. Und auch Stevens kommt ins Schwärmen, wenn er über „Anything At All“ sinniert: „Nichts fühlt sich überstürzt oder unmittelbar an. Es gab zuletzt viele große Veränderungen in unserem Leben und in der Welt um uns herum, und so wurden die Songs zu einer Art Zufluchtsort vor all dem.“ Schön.

Tocotronic – Golden Years

Jetzt, wo die Welt in Scherben liegt, rufen Sänger/Gitarrist Dirk von Lowtzow, Jan Müller am Bass und Schlagzeuger Arne Zank fast wie zum Trotz die „Golden Years“ aus. So klar wird das nämlich nicht, ob das Ironie, Verzweiflung oder doch nur ein nostalgischer Blick zurück in die 90er ist, als allen die Welt noch in Ordnung schien. Außer Adorno versteht sich… Und – Überraschung – war sie natürlich auch nicht. Nach dem Ausstieg von Rick McPhail durfte man sich schon mal kurz ein bisschen sorgen, um die Qualität des nun Folgenden. Zu Unrecht, wie sich schon nach den ersten drei Songs feststellen lässt. Spätestens beim hymnischen „Denn sie wissen, was sie tun“ und der Kern-Message: „Diese Menschen sind gefährlich … sie sind völlig unverfroren in ihre kleine Welt gebannt … darum muss man sie bekämpfen, denn es werden immer mehr … aber niemals mit Gewalt … wenn wir sie auf die Münder küssen, machen wir sie schneller kalt.“ Großer Gitarrenrock, große Liebe, auf ewig! (26.3. TonHalle)

Gary Louris – Dark Country

Anfang 2017 hielten wir hier alle Donald Trump noch für einen orangefarbenen Zwillingsbruder von Ronald McDonald, einen irrsinnigen Ex-Reality-TV-Typ und Immobilienmogul, der sich um das Präsidentenamt der USA bewarb. Erst nachdem ich dann ein Interview mit Gary Louris zu einem damals erschienenen Jayhawks-Album führte, hatte ich Angst, dass dieser eben so wahnsinnige wie libertäre Freak wirklich zum mächtigsten Mann der Welt aufsteigen könnte. Und es kam, wie es kommen musste – und ungefähr so, wie es mir Louris damals skizzierte. Olle Kamellen, für wahr, und mittlerweile hat man sich an den Wahnsinn, der sich Menschheit nennt, fast schon gewohnt. Tagesformabhängig, versteht sich. Was hilft ist in jedem Fall Gary Louris’ neues Soloalbum „Dark Country“ – welches er als „Liebesbrief an seine Frau“ (nicht an Donald Trump) verstanden und gehört wissen will – das vorzüglich zwischen Americana, Country und Folk pendelt und einem musikalisch wie textlich Geborgenheit und ein wenig Freude zu schenken vermag.

C Duncan – It’s Only a Love Song

Auf C Duncan bin ich damals über sein wirklich bemerkenswert gutes 2022er Album „Alluvium“ aufmerksam geworden. Der Mann ist einer der ganz großen Pop-Komponisten unserer Zeit und braucht dabei keinerlei Vergleiche zu scheuen, weder mit Neil Hannon (The Diving Comedy) oder Father John Misty oder – ähem – Elton John, wenn wir schon mal in der Preisklasse sind. Meine Meinung. Leider auch nur meine. Ok, und die von ca. 100.000 monatlichen Hörerinnen und Hörern beim Streaming-Riesen. Zum Niederknien schön schon der Opener „It’s Only A Love Song“. Von wegen „only“, es ist eines der größten und schönsten Liebeslieder der letzten zehn Jahre. „Lucky Today“ ist ein Ohren- und Seelenschmeichler, der einen locker durch die grauen Vor-Frühlings-Tage bringt und die wohlweislich an letzter Stelle des Albums platzierte Pianoballade „Time And Again“ macht einem mit seinen ausladenden 50er-Jahre-Streichern und -Chören geradezu das Schlucken fast unmöglich. So hingerissen, ge- und (im Innersten) berührt, ist man von all dem Gehörten, dass man sich nur wundern kann über den geringen Zuspruch, der diesem Genie zu Teil wird.

Tikhet – mixtape suite

So früh im Jahr schon die Münchner Platte des Jahres? Kann gut sein, denn: Sie haben es wieder getan! Sie, also Florian Kreier aka Angela Aux und Sebastian Weiss-Laughton aka Sepalot (Ex-Blumentopf), die gemeinsam unter dem Pseudonym Tikhet schon seit geraumer Zeit zusammen musizieren. Und dieses gemeinsame Musizieren haben sie nun auf „mixtape suite“ gebündelt. Und man ist schier sprachlos, was auch gut so ist, denn so kann man sich auch besser auf die fantastischen Songs, die zeitlos schöne Produktion oder die gelungenen (Electro-)Arrangements konzentrieren. Urban klingt das, ohne jemals platt und aufdringlich zu sein. Indie klingt das ohne sich jemals anzubiedern. Und ja, auch folkig klingt das ein wenig, allerdings wie von einem anderen Stern. Angela Aux rappt und singt, Sepalot bastelt die Basis, arrangiert, instrumentiert, produziert – unnachahmlich gut, so wie nur er es kann. Sehr schwierig hier Vergleichbares aufzutun: Radical Face fallen mir spontan ein, obwohl viel weniger folkig. Auch Bon Iver kommt mir noch in den Sinn und David Holmes und Mark Thomas Griffin aka MC 900 ft. Jesus … in jedem Fall alles was gut ist und internationale Klasse hat(te), irgendwo da draußen zwischen Electro, Producing, Folk und Pop.

HEIMSPIELE – Kurz & knapp

München ist nicht nur bunt, es klingt auch so. Eines der leuchtendsten Knallbonbons unserer vielfältigen Indie-Kultur verdanken wir Sinem. Das Anadolu-Postpunk-Trio aus München um die SängerinSinem Arslan Ströbel hat Ende Januar sein Debütalbum Köşk veröffentlicht, und das beim bestens sortierten „Fun In The church“-Label. Sinems Musik hält haufenweise textliche Visionen von Menschlichkeit und Freiheit bereit und verbindet diese gekonnt mit 60er- und 70erJahre-Reminiszenzen bis hin zum modernen Indie-Türk-Pop und moderaten Post-Punk. Stark.

Auch in Richtung Punk grooven sich IQ Zero auf ihrem neuen Album Toss A Coin ein. Die vier Jungs haben es labelmäßig auch gut getroffen und kamen bei der Hamburger Plattenfirma „Pauli Punker“ unter. Und genau da gehören sie ja eigentlich auch hin, klingen sie doch bei allem „Fun“ und „Emo“ und wer weiß noch alles mit ihrem hymnischen Punkrock, in jedem Fall mehr nach Hafenstraße als nach bayerischem Oberland. Dringende Empfehlung an die Kollegen von Blackout Problems: Nehmt das Quartett mal mit auf Tour, die wärmen euch die Leute bestimmt prima vor. Überzeugend.

Ihre Songs sind gefühlvoll und fließend, manchmal auch kantig, immer aber höchst  eigenständig. Dabei liebt die Sängerin Anna Leman den klassischen genauso wie den jazzigen Ansatz. Klare Arrangements und Improvisationslust wechseln sich auf Embrace homogen ab. Dem Titelsong als auch „Destiny“ wohnen sogar ein Hauch James Bond-Flair inne, weswegen man sich bei Anna Leman angenehm an große Stimmen des Jazz, wie etwa Shirley Bassey, Carly Simon oder Nancy Sinatra – erinnert fühlen darf: Eleganz und Glamour treffen auf eine gehörige Portion Melancholie und Tiefgang. Gefühlvoll.

Grantler Records ist ein 2020 in München gegründetes Label, welches sich zum Ziel gesetzt hat „Musik zu unterstützen, die uns und hoffentlich auch viele andere berührt.“ Dass Plattenboss Thomas Geissl dabei seiner Vorliebe für physische Medien wie Vinyl und Kassetten freien Lauf lässt, Ehrensache. BTW: Man kann ihn auch gerne als DJ oder Soundsystem buchen, zumal dann wenn man auf Post Punk, Shoegaze, Dreampop, New Wave und dergleichen steht. Jetzt wurde hier mit Grantsalat 2 unlängst ein liebevoll kompilierter Sampler veröffentlicht, gespickt mit weitgehend unbekannten Indie- und Undergorundbands aus München und der weiteren Umgebung (Regensburg, Österreich etc.pp) wie Drug Stop, Miss Drone, Bibi Finster, Die Pyramiden von Giesing u.v.a.

Weitere Infos hier: https://grantlerrecords.bandcamp.com/album/grantsalat-2