Trotz Corona ist Münchens Underground nicht faul. In Folge 3 unserer Kolumne „Wildes München“ stellen wir zwei besondere Releases der letzten Zeit vor.
Ja, es war länger still um diese Kolumne über Münchens etwas abseitigere Musik, aber jetzt ist sie wieder da und zwar mit Schwung! Zwar weiterhin in unregelmäßigen, aber dafür viel kürzeren Abständen werden hier wieder Alben und Bands aus Münchens Untergrund vorgestellt.
Braindead Wavelength – Life‘s Funny Ways
Es gibt aus dieser Stadt Alben, die man einfach nicht glauben kann. Die so un-münchnerisch sind, dass sie nur darauf warten irgendwann den Status zu erlangen, den sie eigentlich ab Release verdient hätten.
Aber ich greife etwas vor. Braindead Wavelength sind ein Trio in althergebrachter Besetzung: Der walisische Wahlmünchner Ben an Vocals und Gitarre, und die Zwangsmünchner*innen Charly am Bass und Dani an den Drums. So unscheinbar das jetzt daherkommt, so sehr reizen die Drei in ihrer musikalischen Tri-Symbiose die Möglichkeiten des Formats Power-Trio aus. Mit einer Mischung aus Grunge, Stoner-Metal und Psychedelic-Rock treiben die drei seit 2013 auf Münchens Bühnen ihr Unwesen. In dieser Zeit hat die Band sich einen festen Stamm an Fans erspielt, die sich alle 2016 am ersten Album Druid Stomp laben konnten. Ein selbstbewusstes Statement, aber wie sich nun zeigt erst ein Vorspiel:
Life‘s Funny Ways (erhältlich seit 30.10, self-released) ist ein beeindruckendes Album. Zwischen weltgewandter Wucht und detailverliebter Verspieltheit wird man mit auf eine Reise genommen, die verblüfft, berührt und einfach fucking rockt. Da ist der Intro-Track, der an Mastodon erinnert – wenn die so cool wären walisische Mystik in ihre Musik fließen zu lassen. Tolle Akustikgitarren, die schließlich erbarmungslos virtuos weggethrasht werden. Danach: Eine wütende Bestandsaufnahme über aktuelle schreckliche politische Entwicklungen. Ach, hätten Alice in Chains doch nicht nur über Selbstzerstörung gesungen, es hätte etwas aus ihnen werden können… Der Titeltrack überrascht und berührt gerade in diesen etwas düsteren Zeiten mit gutmütig zaghaften Betrachtungen über die conditio humana zu wunderbaren Gitarrenmelodien. So könnt ich jetzt weiter über jeden Track schreiben. Das Album ist ein Trip, den sich jede*r an härterer Gitarrenmusik interessierte Mensch nicht entgehen lassen sollte. Dazu noch zu erwähnen: Diese Produktion. Unglaublich wie reich das Album klingt. Man will es immer wieder hören, um weitere Schichten auditives Gelée Royal zu entdecken. Wolfie Wiemer von Meandering Mine (googlen und genießen, bitte!) saß an den Reglern und lässt das Album klingen, als steckten da Millionen Euro Produktionskosten drin. Hochwertig und groß, dabei aber Meilen entfernt von der mechanischen Leblosigkeit vieler neuer Metal-Produktionen. Vielleicht ist Wiemer jetzt auch ein gemachter Mann und die Band auf immer bei ihm verschuldet, das kann man nicht wissen. Fest steht nur, dass Life‘s Funny Ways ein Monolith von einem Album ist, den diese Stadt und ihre Szene fast gar nicht verdient hat. Hört es euch an, seid verblüfft und freut euch über die schiere Qualität an Rockmusik, die dieses München hervorbringen kann.
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Elvis De Sade – World For Us
Vor dem „Play“ drücken ein Hinweis: Der deutsche Akzent hat in der düsteren Ecke des Pop Tradition. Von Nico über Klaus Nomi zu Xmal Deutschland. In diese Tradition reihen sich die vier Schemen von Elvis De Sade -das unterstell ich jetzt einfach mal- bewusst ein. Dem*Der im Goth nicht so Versierten sei also gesagt: Wie Sänger Leo seine Vocals manchmal in(teu)toniert „tümelt“ nicht, sondern ist trotz Traditionslinie eigenständig, und wirkt zumindest auf den Autor sympathisch und ohne Schenkelklopfen humorvoll.
Und die Musik: Stoisch groovender Darkwave mit wuchernden Ausflüchten in andere Richtungen. Selbst bringt die Band (Andreas an Gitarre und Programming; Cosima am Synth; Felix am Bass und Leo am Gesang) auf ihrer Bandcampseite sogar den Eurodance ins Spiel. Während man die Venga Boys zwar vergeblich herauszuhören versucht, ist die Beschreibung für Songs wie das Titelstück (siehe Video) aber durchaus nachvollziehbar. Mit wohliger Nostalgie will man zu den Synths melancholisch seufzen, aber dank des über allen Liedern thronenden Hegemons „Drummachine“ auch cool den Seitenscheitel verschütteln.
Für das ganze jüngst beim Augsburger Label „Young & Cold Records“ erschienene Album „World For Us“ gilt: Dem Verfall, der um uns grassiert, hält die Band ihre eigene Tristesse entgegen, die dank der Eurodance-Einflüsse gar so trist gar nicht ist. Mein persönlicher Lieblingssong ist „I hold the light my enemy“, der minimalistisch und leicht bösartig mit DAF-Imperativgesang daherkommt, dank der Vincent Price Samples aus William Castles „The House on Haunted Hill“ (you read it here first) aber auch etwas Oldschool-Grusel-Atmosphäre aufkommen lässt.
Insgesamt ein wunderbares Album, das sich die der Düsternis zugeneigten Münchner*innen auch auf Vinyl gönnen und dann neben Paars „Die Notwendigkeit der Notwendigkeit“ ins Regal stellen sollten.
Das Album „World For Us“ auf Bandcamp.
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