My Love is as a Fever: TOBIAS MORETTI liebt Shakespeare – und schätzt München, wo für ihn vieles begann. Am 1. Februar liest er in der Allerheiligen-Hofkirche und seine Frau Julia spielt Oboe dazu.
Herr Moretti, Shakespeares Sonette gelten als vielschichtig, gelegentlich dunkel, nicht ganz leicht zu entwirren und faszinieren mit einer Sogkraft der Sprachbilder. Was reizt Sie so besonders an ihnen?
Tobias Moretti: Bei Shakespeare ist es eigentlich kein Unterschied, ob man es mit einem Theatertext oder einem Sonett zu tun hat: Er ist immer dramatisch. Auch ein lyrischer Text wird bei ihm zu einem Mini-Drama. Das Sonett galt in dieser Epoche als die höchste lyrische Form. Bei ihm fiebert und kocht es: im Sturzflug oder im Höhenflug.
Wie kamen Sie auf die Idee, aus den Shakespeare-Gedichtwelten einen Vortragsabend zu machen?
Kaum ein Dichter hat Kunst und Kultur in Europa so geprägt wie Shakespeare. Seine Figuren sind von Leidenschaften geschüttelt: von der Liebe, der Eifersucht, der Lust, manche auch von Machtlust oder Rachedurst. In diesem Programm konfrontieren wir diese extremen Gestalten mit englischer Musik, die Shakespeares Epoche sehr nahe ist: Henry Purcell, John Dowland, Händel und andere.
Sie kombinieren die Sonette mit weiteren Dichtern. Was muss aus Ihrer Sicht dazu gehören, damit sich diese Werke bestenfalls anfreunden, miteinander wetteifern und in ein Gespräch miteinander geraten?
Zum einen sind fast alle Dichter irgendwie von Shakespeare beeinflusst, um ihn kommt keiner herum – ob das nun Goethe, Rilke oder Ostermaier sind. Ich finde aber gerade die Kontraste besonders spannend – also, wenn das „Gespräch“ der Texte miteinander, wie Sie es nennen, eben auch etwas von Konfrontation, Konflikt und Sich-Zusammenraufen hat. Dieses Spiel mit Dichtungen funktioniert nur, wenn auch die anderen Texte eine hohe literarische Qualität haben.
So ein Abend macht ein wenig neugierig, wie es in Ihrem privaten Lesezimmer oder auf dem Nachtkästchen aussieht: Wie viel und gern lesen Sie eigentlich – auch wenn das nicht immer „beruflich“ ist.
Lektüre trenne ich nicht in beruflich und privat, das geht nicht. Ich kann ja nicht beim „privaten“ Lesen den Teil meiner Wahrnehmung ausknipsen, der gleich auf die dramatischen Impulse eines Textes anspringt.
Welche Art von Texten macht Sie neugierig?
Das kann ich gar nicht so genau definieren. Wenn Literatur mit großer sprachlicher Kraft und Präzision menschliche und gesellschaftliche Phänomene beleuchtet, dann ist es eigentlich egal, ob sie aus dem 16. oder dem 21. Jahrhundert stammt.
Wie kam denn die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Wood Sounds zustande, und wie sehr bereichern sich Sprache und Klänge?
Die Künstler und Künstlerinnen von Wood Sounds sind allesamt internationale Spezialisten der historischen Aufführungspraxis. Sie spielen in den führenden Barockorchestern wie dem Freiburger Barockorchester etc. Unser Cembalist leitet als Nachfolger von Nikolaus Harnoncourt den Concentus Musicus Wien. Wood Sounds und ich haben diesen Shakespeare-Abend vor einigen Jahren für ein Festival in der Steiermark entwickelt, das unser Geiger Florian Hasenburger leitet. Seitdem waren wir damit schon bei den Salzburger Festspielen, den Gmundner Festwochen und zahlreichen anderen Festivals.
Dort arbeiten Sie auch mit Ihrer Frau Julia zusammen. Wie fühlt sich das an, bei so einer Arbeit gemeinsam an einem Strang zu ziehen und auf einer Bühne zu sein?
Julie und ich haben uns eigentlich mal durch so eine Zusammenarbeit kennengelernt, vor 30 Jahren. Wenn wir miteinander arbeiten, ist sie für mich eine hochgeschätzte Künstlerin wie die anderen Musiker und Musikerinnen auch: Wir haben das gleiche Ziel, das künstlerische Ergebnis, wir ringen darum, setzen uns auseinander, diskutieren aus unterschiedlichen Perspektiven, probieren aus, verwerfen ein Stück, holen es wieder hervor – und ja, so wie Sie es formulieren, ziehen wir alle letztlich an einem Strang.
Wie oft ergeben sich für Sie beide solche Überschneidungen?
Allzu oft gehen sich solche literarisch-musikalischen Abende einfach von der zeitlichen Disposition nicht aus, aber es ist jedes Mal etwas Besonderes.
Zuletzt begeisterten Sie die Münchner ja als Reiseführer zurück in die Sprachwel- ten von Homer und machten große Lust, sich mal wieder in antike Abenteuer zu wagen. Wie sehr bewegt Sie eigentlich selbst so ein kunstvoller Sprach-Ausflug?
Wir, Brigitte Hobmeier und ich, haben die Ilias in der Übertragung von Raoul Schrott gelesen. Ich schätze seine Spra- che von archaischer Kraft sehr, und dabei ist sie modern. Die gängigen altphilologischen Übersetzungen vermitteln immer den Eindruck, als würde man einem ehrwürdigen Geschehen beiwohnen. Aber so ein Schlachten ist nie ehrwürdig und war es auch nie. Bei Raoul Schrott ist die Rohheit des Krieges beängstigend nah, genauso wie die Inseln der Humanität: Wenn zum Beispiel die Rösser von Achill um Patroklos weinen.
Wie zu hören ist, soll es mit Homer weitergehen. Wie groß ist für Sie das Vergnügen, sich auf Irrfahrten einzulassen?
Irrfahrer geistern seit Jahrtausenden durch die Kunst und Literatur: Reisen, Verlorengehen, Ankommen und Heimfinden waren immer schon Metaphern für die Entwicklung eines literarischen Helden.
Diesmal lesen Sie in der Allerheiligen-Hofkirche, einem Ort mit eindringlicher Atmosphäre. Wie stark wirken auf Sie eigentlich Erinnerungen aus früheren Münchner Zeiten? Sie fingen einst an der Falckenberg-Schule an, waren dann lange fest am Haus in der Maximilianstraße.
Die Allerheiligen-Hofkirche ist ein wunderbarer Spielort, atmosphärisch und akustisch. Und da sie nur einen Steinwurf vom Resi entfernt ist, ist es ein vertrauter Ort, es schleicht sich gleich wieder so ein Zustand ein.
Neben dem Residenztheater waren auch die Kammerspiele für Sie immer ein wichtiger Ort. Wenn heute von den Kammerspielen gesprochen wird, geht es oft um ganz andere Themen als die konzentrierte Text- und Spracharbeit früherer Tage. Wie gut können Sie sich mit den Veränderungen anfreunden – oder fremdeln Sie da eher?
Ich fremdle gar nicht, und ich finde auch Veränderungen wichtig und existenziell. Nur wenn bestehende kulturelle Bezugssysteme von anderen Systemen abgelöst werden, muss man auch wieder für neue Veränderungen offen sein und nicht beharren.
Wie meinen Sie das?
Das deutschsprachige Theater, das es in dieser Dichte kaum irgendwo in der Welt gibt, findet seine Berechtigung vor allem in unserer literarischen Auseinandersetzung, auch in der jeweiligen Zeit, in den jeweiligen Epochen. Das ist der kulturelle Boden, von dem Max Reinhardt gesprochen hat in seinem berühmten Brief. Wenn das Theater in eine Sackgasse gerät und die Leute nicht mehr kommen, hatte das als gesellschaftsveränderndes Experiment vielleicht seine Berechtigung, aber wenn es nicht mehr funktioniert, kann man nicht einfach weiterfahren, sondern muss eine Abzweigung suchen. Zum Wesen des Theaters gehört das Publikum. Die Münchner Kammerspiele liegen mir als mein Stammhaus, von dem ich komme, sehr am Herzen. Aber das Problem liegt auch bei den politischen Entscheidungsträgern, von denen manche das Theater nur als Subventionsklotz am Bein sehen und die Entscheidungen lieber politisch korrekt treffen als mit Haltung.
Welche Kraft können Theatertexte, in einer in Bedrängnis geratenen Demokratie, denn heute noch entfalten?
Diese Kraft wird, glaube ich, nicht unbedingt freigesetzt, wenn Theater sich plakativ als Kommentar von Tagespolitik versteht. Es geht eher um etwas anderes, nämlich dass man eben nicht simplifiziert, sondern Vereinfachungen infrage stellt. Zeitlose Theatertexte konfrontieren uns mit Grundwerten oder Grundhaltungen unserer Humanität und damit, wie fragil sie sind und wie schnell sie den Bach runtergehen.
Letzte Frage: Welche Münchner Lieblingsorte haben Sie denn noch, und bleibt bei Besuchen in der Stadt hoffentlich auch Zeit, sie mal wieder aufzusuchen?
Meistens komme ich in der Tat zum Arbeiten her und fahre leider zu früh wieder weg. Wenn ich an Orten wie der Falckenbergstraße oder Marstall oder Filmcasino, Künstlerhaus vorbeigehe, kommt so eine Mischung aus Kribbeln, Sentiment und Aufbruchsstimmung auf.
Am 14. Januar ist Tobias Moretti im Gespräch mit Markus Kreul im Münchner Künstlerhaus