„Baumeister Solness“ in den Kammerspielen, „Blind“ im Residenztheater, „Die Piraten von Penzance“ im Gärtnerplatz und „Der Fiskus“ im Metropol – und ein Abschied.
„Baumeister Solness“ in den Kammerspielen
Lebenslügen: das ist der rote Faden im Werk des norwegischen Spezialisten für Zwischenmenschliches Henrik Ibsen. In „Baumeister Solness” holt einen arrivierten Architekten auf dem Gipfel seines Schaffens die Vergangenheit ein. An den Kammerspielen ist das ein 90-minütiger Horrortrip: intensiv, berührend, am Ende umjubelt.
Expressionistisch irritierend lässt schon die Bühne nichts Gutes ahnen: schwarze Wandteile, ein leerer Zimmerausschnitt mit Puppen, Flammenbilder. Bruchstücke einer Existenz. Mag sich der Baumeister am Anfang in einer Rede noch selbst loben, bei Thomas Schmauser schwingt schon im Verhalten ein Zweifel mit, vielleicht auch das schlechte Gewissen? Sein Erfolg ist untrennbar mit einem familiären Desaster verbunden: einem abgebrannten Haus, in dem seine Kinder ums Leben kamen. Felicitas Brucker, deren faszinierende „Nora” zum Berliner Theatertreffen eingeladen war, reüssiert einmal mehr an den Kammerspielen. Der Text ist klug gekürzt, und ergänzt: von Gerhild Steinbuch, sie gibt den Figuren um Solness herum mit knappen Monologen mehr Raum. Das verschärft die Bedrängung des Baumeisters, macht die tiefen Wunden sichtbar, die er geschlagen hat und noch schlägt: bei seinem kranken früheren Kompagnon (Edmund Telgenkämper), dessen Sohn, der auch Architekt werden will (Elias Krischke). Und bei seiner Frau, bei Katharina Bach ein zutiefst berührendes, traumatisiertes Wrack.
Der Abend endet mit Befreiung, ausgelöst durch Hilde Wangel. Was das ehemals kleine Mädchen – im Tüllrock zur Jogginghose von eigenwilliger Größe: Annika Neugart – sich holt, ist nicht das Königreich, das Solness ihr einst versprochen hatte, sondern Rache. Für einen Missbrauch.
„Blind“ im Residenztheater
Lot Vekemans, geb. 1956, die meistgespielte niederländische Dramatikerin, hat man in München in bester Erinnerung: von „Gift” und „Judas” an den Kammerspielen der Johan-Simons-Ära. Große Konflikte in konzentriertes Kammerspiel zu packen: das macht sie auch in „Blind”, ein Vater-Tochter-Stück. Den Vater spielt einer der großen aus vergangenen Münchner Theaterzeiten: Manfred Zapatka sitzt schon auf der Vorderbühne des Residenztheaters, starrt auf eine große Wand mit milchigen Glasscheiben. Juliane Köhler, die Tochter, kommt zu Besuch, und schon wird es schwierig. Das Schweigen, die Pausen sagen mehr als das Reden, langsam, gebremst beginnt der Dialog. Weil alte Bilder vorherrschen: der Vater, erfolgreich, dominant, Sicherheitsdenken (er wohnt in einer Gated Community), und Rassist; die Tochter ist anders: Erfolgreich, sozial, und mit einem Schwarzen verheiratet. Aber er hat Krebs und wird erblinden, also wird er die Tochter künftig brauchen. Ein Alarm verhindert das Verlassen der Wohnung, jetzt müssen die beiden miteinander klarkommen. Köhler und Zapatka loten feinnervig die Nuancen ihrer Kunst aus, ohne bühnentechnisches Bohei, aus dem Abarbeiten an Fragen, die jeder kennt, wird die bewegende Verhaltensstudie zweier Menschen zwischen Fühlen, Wollen und Müssen (Regie: Matthias Rippert).
„Die Piraten von Penzance“ im Gärtnerplatztheater
Voll auf die Zwölf, ohne Rücksicht auf intellektuelle Verluste und mit Mut zum Blödsinn: „Die Piraten von Penzance” entern mit Schmackes das Zwerchfell des Publikums im Gärtnerplatztheater – Standing Ovations. Obwohl es schon ganz schön viel ist, was das britische Erfolgs- Autoren-/Komponisten-Duo Gilbert und Sullivan in diesen 1879 uraufgeführten Hit der Sparte Comic Opera gepackt haben: Piratenklamotte, Upper- Class-Satire, Liebe mit Standesunterschieden, und um Pflichtbewusstsein geht’s auch noch.
Regisseur Adam Cooper, der gelernter Tänzer und Choreograph ist, und dann noch Brite, setzt noch einen drauf: er weiß, dass man hier schmerzgrenzenfrei zupacken muss und mit viel Bewegung. Der Piratenkönig (Daniel Gutmann) macht schon mal einen Salto oder schwingt am Seil durch die Luft: symptomatisch für den ganzen Abend, denn das Ensemble kommt praktisch nie zum Stillstand. Wie gut, dass der Text bestens verständlich ist (dank Mikroport), denn das ist die zweite bestechende Komponente dieses Erfolges: die (noch etwas ergänzte) Neu-Übersetzung von Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting. Beispiel gefällig? „Wir preisen dich, o Poesie / und sinken vor dir auf die Knie”.
Und zum Dritten: die Ausstaffierung – als hätte die Kostümabteilung der Augsburger Puppenkiste endlich auf eine große Bühne gedurft! Eine Klamotten-Orgie (Entwürfe: Birte Wallbaum), fett over the top: die Rüschenkleider der Frauen, die Piraten-Kluft mit Hang zur Haute Couture, der Generalmajor (Alexander Franzen) in Brokat-Jacke zur goldenen Hose, auf dem Kopf gekrönt von weißem Wuschel-Undercut.
Und dann noch die Polizistenblödeltruppe mit den Spinnweben über der Uniform, Queen Victoria kippt auf ihrem Thron auch noch nach hinten weg… much too much. Aber egal. Ein Abend zum vergnüglichen Abschalten, beste Stimmen zur leichten bis schmissigen Musik, Walzer inklusive (fürs Liebespaar: Julia Sturzlbaum, Matteo Ivan Rašić). Passt schon.
„Der Fiskus“ im Metropoltheater
Das Thema Steuer für die Bühne erzählen? Die in Berlin lebende Autorin Felicia Zeller kann das. „Der Fiskus” ist eine Wirtschaftskomödie, um nicht im doppelten Wortsinn zu sagen: eine Farce (uraufgeführt 2020). Im Finanzamt wird umgebaut, deshalb trifft man sich im Aufzug. Im Metropoltheater ist das eine quadratische Fläche, von unten beleuchtet, um drei Seiten sitzt das Publikum. Und folgt der temporeichen Collage aus der Empfindungs- und Erlebniswelt einer Behördenbelegschaft. Die man sich irgendwie förmlicher gekleidet vorstellt als diese bunte Truppe von neun Leuten, deren Gewand eher nach Feierabend aussieht. Aber es sind eben Leute wie du und ich, die hier thematisch durch alles mögliche stürzen und hetzen, muss man sagen: denn, das ist der Gag dieses Textes, für ganze Sätze ist hier keine Zeit. Und so müssen wir die halben Aussagen zu Ende denken (funktioniert bestens), was Regisseur Alexander Weise gerne in Masse aussprechen lässt: in beeindruckender Chor-Form.
In Summe wird ein ungemein unterhaltsamer Abend daraus: Beförderung, Betriebsprüfung beim Zahnarzt, die Optimierung gemeinsamer Steuererklärungen bei verheirateten Finanzbeamten, wichtig für werdende Mütter: Entbindungsaufwand absetzen, und vom Cum-Ex- Thema ist es logischerweise nicht mehr weit bis zur Idee eines eigenen Schwarzgeldformulares. Sehr witzig, durchaus aufschlussreich. Und etwas mehr: weil der Blick auch auf das fällt, was eine Gesellschaft braucht: mehr Zusammenhalt. Und weniger steueroptimierten Ego-Trip. Das Publikum trampelt.
Nachruf auf Lilly Forgách
Ein solcher Abend mit den nötigen Zwischentönen macht im Nachhinein umso schmerzlicher bewusst, was die Nachricht bedeutet, die kurz nach der Premiere publik wird: Lilly Forgách ist tot. Mit nur 58 Jahren an den Folgen eines Hirnschlags gestorben, stand die Frau von Theaterleiter Jochen Schölch, die in vielen Produktionen im Metropol gespielt hat, unvergleichlich für die große Kunst dieses Hauses. Ihre Mischung aus Empathie und Mut, aus Glaubwürdigkeit und Gestaltkraft, ihre freundliche, menschliche Art: all das wird fehlen, und es muss zugleich Ermutigung sein, unbedingt in ihrem Sinne weiterzumachen. Adieu.