Bühnenschau XL: Mensch und Macht

Aktuelle Premieren an Volkstheater, Teamtheater, Theater Viel Lärm um nichts, TamS und Kammerspielen

„Bin nebenan“ im Theater Viel Lärm um nichts

Kann sein, dass einem der Name Ingrid Lausund nichts sagt. Kommt aber das Stichwort „Tatortreiniger“, dann könnte es klingeln: sie war es nämlich, die, unter dem Pseudonym Mizzi Meyer, die Drehbücher zu dieser Grimme-Preis-gewürdigten Ausnahme-TV-Serie geschrieben hat. Waren es da die abgedrehten Dialoge, so ist es bei „Bin nebenan“ die Kunst der Monologe. Und die Autorin kann auch das, und zwar ziemlich beeindruckend.

„That’s life“ wird die Schauspielerin Christine Garbe am Ende diese Abends im Theater Viel Lärm um nichts singen und mit dem Frank-Sinatra-Klassiker und ihrem gelben Koffer von der Bühne gehen. Zuvor hat sie alles darin verstaut, was sie an diesem zweistündigen Abend (mit Pause) gebraucht hat, um genau in das schauen, was der Song thematisiert: mitten ins Life. Aus Ingrid Lausunds Monolog-Sammlung (erschienen 2008) wurden sieben Texte ausgewählt, jede Szene ein Kurzdrama, privates Schicksal gepaart mit Sozial- oder Konsumkritik, und immer mit dem Wunsch nach einem Ort, wo man hingehört.

Dementsprechend haben diese „Monologe für zuhause“ alle mit Wohnen zu tun, die Szenentitel heißen etwa „Esstisch“, „Badezimmer“ oder „Grundstück“. Eine junge Frau wohnt in einer wunderschönen Wohnung, aber die Liebe geht grad in die Brüche. Eine andere träumt sich von der marmorierten DC-Fix-Folie im Baumarkt ins venezianische Palazzo-Bad. Eine dritte versinkt derart im Luxus, dass die Sachen um sie herum gar keine Namen mehr haben, sondern nur noch mit Geldbeträgen bezeichnet werden.

Am Theater Viel Lärm um nichts (das bei diesem Gastspiel kooperiert) kann man einmal mehr bestaunen, wie wenig gutes Theater braucht. Auf der leeren Bühne ein Tisch mit Hocker, ein paar Klamotten, und zwei, eine Schauspielerin und ein Regisseur, die ihren Job lieben. Christine Garbe gestaltet mit unglaublicher Wandlungsfähigkeit zig Rollen, mal zwischen freudigem Grinsen und Tränenstau, dann wieder genervt-zynisch, ob finanzielle Existenzangst oder zurückgebliebene Jugendliche, sie kann wollüstig im Badewasser schwelgen oder ernst in einer Zwischenwelt dem eigenen Tod hinterherreflektieren: eine Achterbahn der Emotionen. Auf der Regisseur Georg Büttel durch alle Stimmungswechsel hindurch sicher bremst und beschleunigt, und so werden aus Lausunds Figuren mit ihren manchmal etwas verschrobenen Phantasien, ihren Ängsten und Macken vertraute Mitmenschen. Standing Ovations für ein grandioses Solo.


„Welt voll Rausch“ im TamS

(c) TamS

Triggerwarnung: An diesem Abend wird dem Trinken gefrönt, und zwar stellenweise hemmungslos. „Wer erträgt die Wirklichkeit noch nüchtern?“ fragt sich das TamS und reagiert mit einem alkoholischen Exzess der besonderen Art. „Welt voll Rausch eine Kapelle sucht Stimmung“ heißt die neue Produktion, also stapfen vier Menschen in Einheitsoutfit (braune Samt-Sakkos, festliche Hosen, Lackschuhe) mit ihren Instrumenten auf die glühbirnenumfasste Varietébühne und spielen uns was, schön bis schräg, was halt so geht mit Tamburin, Becken, Melodica und kleiner Tuba. Der Musikerfinder des Abends, Severin Rauch, darf auch mal heftiger am Schlagzeug ran. Aber um Musik geht es irgendwie nicht so wirklich bei dieser Kapelle, auch die Texte halten sich in Grenzen, ein bisschen „Schubidu“, ein bisschen Buchstaben verdrehendes Kunstsprech, eine Beleidigung heißt etwa: Söde Blau…

Nein, das zentrale Ding dieser 90-Minuten-Show (Regie: Jakob Fedler) ist der ganz normale Eskapismus mittels hilfreicher Getränke, kredenzt in Form eines komischen Schau-Spiels. Und so sind Irene Rovan, Lena Vogt und Axel Röhrle kontinuierlich damit beschäftigt, den Genuss zu zelebrieren oder die Folgen davon in den Griff zu kriegen, fröhliches Scheitern inbegriffen. Feinlippiges Nippen am Weinglas, Lachflash in fröhlicher Sekt-Runde, enthemmtes Schütten über die Kleidung, betrunkenes Robben über die Bühne: alles dabei, immer mit kokettem Lächeln ins Publikum allerliebst präsentiert. Die Gefäße variieren, mal Stamperl, mal Maßkrug, oder der Riesensektkelch, in den ein ganzes Gesicht reinpasst. Nur einmal torkeln sie, nur einmal flippen sie wirklich aus, ansonsten ist man immer auf Form und Effekt bedacht, da wird dann selbst (imaginiertes) Reihern in die Tuba zur ästhetisierten Kunstübung. Trotz ein paar Längen: Beifall satt für diese TamS-typische Mischung aus Hintersinn, Anarchie und Lust an der Komik, die durchaus auch für Abstinenzler geeignet ist.


„Don Karlos“ im Volkstheater

Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Umständen zu äußern: Das ging zu Friedrich Schillers Zeiten nur unter dem Deckmantel der Historie. Also wurden Systemkritik und der Kampf um humanitäre Ideale in einen alten Stoff gepackt, wie in Don Karlos (1787, zwei Jahre vor der Französischen Revolution uraufgeführt) am Beispiel eines Königs aus dem 16. Jahrhundert: Philipp II., absoluter Herrscher, wird konfrontiert mit politischem Aufbegehren, der Macht der Kirche und seinem Sohn, eben Karlos, dem er die Frau ausgespannt hat.

Nach Gründen, das Stück heute zu machen, muss man bei unserer Weltlage nicht lange suchen. Die Neuinszenierung von Christian Stückl am Volkstheater verzichtet aber auf augenfällige Bezüge ins Heute, die Ausstattung geht ins Futuristische. Hohe Stirne, hüftlan- ge Haarfäden, lange schwarze Mäntel – als hätten sich Zombies zu Star Wars verirrt, so sehen die aus, die in der dunklen Halle mit den schwarzen Ledersesseln unter einem angriffslustigen Riesenadler aufeinandertreffen. Die klug verdichtete Drei-Stunden-Fassung (mit Pause) bleibt hart an der Vorlage, mit kammerspielartigen Szenen geht’s durch das nicht immer lichte Chaos aus privaten Interessen und politischen Intrigen im Zentrum eines Machtapparates.

Effektvoller Einstieg mit „Something“, dem Beatles-Song: Der Karlos von Max Poerting leidet immer noch enorm seiner geklauten Liebe Elisabeth (Lena Brückner) hinterher, die verschmähte Eboli (Ruth Bohsung) hat bei ihm trotz linker Touren keine Chance. Posa, der alte Spezl und Idealist (Noah Tinwa), kommt mit neuen Ideen – das fixt den larmoyanten Karlos sogar ein bisschen an. Und Posas viel zitierte Forderung nach Gedankenfreiheit macht sogar den König kurz nachdenklich. Aber eben nur kurz. Dann ist Pascal Fliggs Philipp, ganz in Weiß, wieder unduldsam, machtbewusst und höchst empfänglich für Gerüchte – ein augenrollender Potentat, unterwegs Richtung Wahnsinn, befeuert von seinen Schergen und von der Kirche: Silas Breiding als Domingo, ein gefährlicher Glaubensvertreter, der auch weiß, wie Inquisition geht. Ein konzentrierter Abend, der Schillers Diktion und Pathos sehr genau sezieren will – und dabei etwas zu statisch gerät. Großer Applaus am Ende trotzdem.

Don Karlos
Don Karlos
So, 30.03.2025, 19:30 Uhr
weitere Termine bis 10.05.2025
Münchner Volkstheater - Bühne 1
Theater
Regie Christian Stückl Bühne und Kostüme

Fettes Schwein“ im Teamtheater

„You’re the one that I want“: Da steht sie, im kreisrunden Spotlight auf der Bühne des Teamtheaters, und singt die alte Nummer aus „Grease“ – in einer leisen, berührenden Version. Helen scheint tatsächlich die große Liebe gefunden zu haben. Und dass sie etwas dicker ist als andere Frauen, scheint tatsächlich keine Rolle zu spielen. Scheint. „Well made play“ nennt man das, was amerikanische Autoren besonders gut können: ein gut gebautes Konversationsstück, gerne zu Themen auf der Höhe der Zeit. Neil LaBute, 1963 geborener Regisseur, Drehbuchautor und Dramatiker, ist ein Meister solcher Stücke. Und obwohl Fettes Schwein schon eine seiner älteren Arbeiten ist, von 2004, hat sie leider – zumal in Zeiten von Social Media – nichts an Relevanz verloren. Denn es geht um Bodyshaming, Mobbing und Sexismus.

Vier Menschen, Generation 30 bis 40, drei davon im lässigen Business-Style, Typ Young Urban Professionals. Helen dagegen, die Bibliothekarin, wirkt et- was spießig: Bluse, Strickjäckchen, Rock. Aber dieses Biedere ist nur Klamotte. Lena Schlagintweit zeigt uns ei- ne zugewandte, lebenslustige Frau, mit Humor und Charme – zum Liebhaben. Doch ihr Gesicht wird uns immer wieder für Momente erzählen, welches emotionale Pfund die Wirkung ihres Körpers manchmal bedeutet. Tom verliebt sich trotzdem in sie, allerdings mit einem latenten Aber: Simon Wenigerkind spielt das intelligent – mit angezogener Handbremse. Und bald kommt hinter dem smarten Kerlchen die feige Lusche hervor.

Denn das Bild von einer Beziehung mit einer dickeren Frau passt nicht in die beispielhafte Umwelt, für die Toms Arbeitskollegen stehen: Alexandra Hackers Jenny, mit eigenen Interessen an Tom, versteckt ihre Eifersucht nicht lange und lässt sie umso heftiger explodieren. Adrian Spielbauers Nick gibt den bad guy mit den schnellen (Vor-)Urteilen, den verletzenden Sprüchen: Für ihn ist Helen ein „fettes Schwein“.

Um aus Neil LaButes etwas oberflächlicher Figurenzeichnung etwas zu machen, braucht es ein Ensemble, das Subtext und Zwischentöne kann – und das können die vier auf der leeren Treppenbühne: Langer Beifall nach 90 Minuten. Als problematisch allerdings erweist sich die Idee von Teamtheater-Hausregisseur Philipp Jeschek, die requisitenlos gespielten Szenen akustisch auf- zupeppen. Und so produzieren die, die gerade nicht spielen, von der Seite aus live ins Mikro Geräusche: Essen und Schlürfen, Tippen auf einer Tastatur, das Öffnen eines Fensters, das Fechten mit imaginären Schwertern usw. Das ist erst mal ein witziges Theatermittel, unterläuft aber zunehmend störend den Ernst der verhandelten Thematik – bis ins Alberne. Schade.


„Mephisto“ in den Kammerspielen

Kunst und Moral, Mensch und Macht: Klaus Mann erzählt in seinem Roman Mephisto (von 1936) von der Karriere eines Schauspielers vor und im Nazi-Faschismus – und unverkennbar angelehnt an seinen Ex-Schwager, die deutsche Theaterlegende Gustaf Gründgens. Das Schauspielhaus der Kammerspiele steht und jubelt nach dreieinhalb Stunden sattester Schauspielkunst. Jette Steckels mitreißend-bewegende Bühnenumsetzung lässt klug die heutigen Kulturdebatten mitschwingen – ohne Zeigefinger. Ein Abend, der das Zeug zum Renner hat.

Steckel lässt ihren „Mephisto“ fast durchgehend im Theater spielen. Sie beginnt mit Probenarbeit, den üblichen Nickelig- und Eitelkeiten: selbstiro- nischer Blick hinter die Kulissen. Die Qualität von Florian Lösches Bühnen- bild erweist sich schon hier: Verschiebbare, übermannshohe Lichtquader schaffen blitzschnelle, atmosphärische Wechsel für dieses Stationendrama, das die Hauptfigur von Hamburg nach Berlin führt – vom kleinen Mimen zur Intendanz.

Der fiktive Gründgens heißt im Buch und auf der Bühne Hendrik Höfgen, und Thomas Schmauser, dieser wunder- bare, immer leicht irrlichternde Schauspieler, ist die Idealbesetzung für die Darstellung eines Künstlers, der sich windet und wendet – immer zwischen Anspruch und Gewissen, Ehrgeiz und Verantwortung. Beim privaten Disput mit der Ehefrau (Linda Pöppel), die anfangs noch Verständnis hat für die Nazisprüche eines Kollegen (Elias Krischke, der auch am Schlagzeug für deutliche Musikakzente sorgt), ist Höfgen noch ein Linker. Die Liebe zu einem schwarzen Tänzer (Bless Amada) versteckt er aber, die später notwendige Flucht einer jüdischen Schauspielerin (Johanna Eiworth) ficht ihn nicht an: Er bleibt. Er muss bleiben – schließlich ist er „ein deutscher Schauspieler“. Als Mephisto in Berlin kommt der Durchbruch, bewundert vom Ministerpräsidenten: Edmund Telgenkämper als Göring-Alter-Ego macht das grandios zur teuflischen Machtdemo, die einen frieren lässt.

Schmausers Höfgen bleibt ein Zerrissener. Die Machtergreifung der Nazis sieht er als normalen demokratischen Vorgang, er verunglimpft auch andere, wenn’s der Karriere dient, oder gibt dem Führer Sprech-Coaching (herrlicher Slapstick mit Erwin Aljukić) – und zugleich setzt er sich ein für einen kommunistischen Kollegen im Knast (Mar- tin Weigel). Ein Selbstbetrug, aus dem es keinen Ausweg gibt. „Du legitimierst hier Faschisten!“, schmeißt ihm seine Frau am Ende an den Kopf. Höfgen schreit panisch: „Text!“ Doch die Souffleuse schweigt.