IN München-Review: So wars bei … Adele in München

The greatest show on earth? Adele spielt beim Auftakt ihrer Konzertreihe an der Messe München auf jeden Fall in einer ganz eigenen Liga.

Eine Sängerin, die ihren Mezzosopran über drei Oktaven schraubt und Ansagen zwischen den Songs macht und flucht wie eine Pub-Bedienung aus Tottenham? Die dem Publikum ihr Herz ausschüttet und dreckige Witze reißt, weil sie dafür bezahlt wird? Immer noch nicht fassen kann, als Londonerin nach Jahren in den USA endlich wieder zurück in Europa zu sein, wenn auch in München, wo das Wetter verrückt spielt, fast wie auf den Bahamas?

Das alles klingt fast unwahrscheinlich und trotzdem waren rund 75 000 Menschen Zeugen einer Show, die ihresgleichen sucht, beim Auftakt von Adeles Konzertreihe in einer eigens errichteten Arena plus einem ausgedehnten Genuss- und Konsum-Bereich mit Volksfest-Charakter. Schwarz verhüllt wirkt die „Adele Arena“ ein bisschen wie ein Aufmarschfeld der Harkonnen in „Dune“ – mit dem Unterschied, dass sich hier nur nette Menschen aus aller Welt tummeln. Malaysia, China, Brasilien, Hawaii, Finnland, Schweden, Frankreich, Italien, Großbritannien und natürlich auch Deutschland, Bayern, München – wer nur zehn Konzerte in Europa spielt und die nur in einer Stadt, braucht sich als Superstar auch um die Gig-Jetsetter nicht zu sorgen.

Adele in Munich: Alle Informationen, Termine und Ticketlinks

Der Food-Beverage-Entertainment-Merchandising-Bereich, inklusive britischer Telefonzellen, einer Pub-Attrappe und eines „I Drink Wine“-Pavillon, gleicht einer Verlängerung des Tollwood Sommerfestivals nicht nur von den Ausmaßen her; Stelzenläufer machen ihre Runden, eine Spice-Girls-Coverband sorgt für Stimmung und ein bayerischer Biergarten mit hunderten Plätzen samt Adele-Riesenrad und geschmückten Bierkutschen wirbt schon mal für die nächste Attraktion in der Landeshauptstadt.

Die Sonne scheint, das Areal füllt sich und plötzlich, oh Schreck, schüttet es wie aus Eimern. Macht nichts, es ist warm, der Regen verschwindet, so schnell er gekommen ist. Mitten in der Arena auf einer kleinen Bühne steht plötzlich Adele nach dem Intro „Strangers By Nature“, und klar, der erste Song heißt „Hello“, was sonst. Natürlich kann die Frau singen, auch wenn sie supernervös ist, wie sie schon bald sympathisch zugibt, und langsam wird einem die Dimension dieser Konzertarena bewusst.

Wie ein Band verlängert die Bühne beidseitig eine über 200 Meter breite LED-Leinwand, die in den folgenden zwei Stunden mit teils faszinierenden optischen Sequenzen der Performance dieser Ausnahmesängerin einen visuellen Rahmen gibt – der auch nötig ist, denn viele der Besucher werden Adele aufgrund der Entfernung hauptsächlich nur auf dem Screen wahrnehmen können, obwohl sie rund ein Drittel der Show auf der kleinen Arena-Bühne und den überlangen Laufstegen bestreitet.

Gegenüber der Setlist ihrer Las Vegas Residency geht es in München mit „Rumours Has It“ gleich mal zur Sache: Die bestens eingespielt wirkende, sechsköpfige Band plus drei Backgroundsängerinnen reißt das Publikum von den Stühlen, es folgen „I Drink Wine“ und das groovige „Water Under The Bridge“ – mit beiden Stücken läuft sich die aktuell wohl beste weiße Soul-Sängerin aber gerade erst einmal warm, bevor mit der Pianoballade „Easy On Me“ ein früher Höhepunkt ansteht.

Es ist der Kontrast zwischen Adeles klassischem Songwriting, der stimmlichen High Performance und den emotionalen Ansagen, die zwischen Witz und Melancholie changieren, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Sie lässt das Publikum teilhaben an Trinkgewohnheiten (ein Glas Alk, ein Glas Wasser), olympische Vorlieben, Erfahrungen im Berliner Untergrund. Showeinlagen wie, klar, ein Kind (plus Mutter/Schwester) auf die Bühne holen, einen Heiratsantrag moderieren, einen Brief unter einem der 75 000 Sitze verstecken oder mit einer T-Shirt-Gun Merch ins Publikum schießen – lustig, aber auch ein bisschen zu Wetten, dass?-mäßig kommt das zum Teil.

Aber wer könnte sich da ärgern, wenn Adele im nächsten Moment bei einem für ein Open Air-Konzert wirklich brillanten Sound zum Beispiel Bob Dylans „Make You Feel My Love“ den „Great American Songbook“-Sternenstaub verpasst. Oder wenn in „Hometown Glory“ und dem seit Jahren nicht mehr gespielten „Chasing Pavements“ rund 30 Streicher die Laufstege säumen und die Sängerin in sentimentaler Erinnerung an die Anfangszeiten zu vokalen Höhenflügen ansetzt. Nach einer formidablen Version des James Bond-Soundtrack-Hits „Skyfall“ und dem mitreißenden Meisterwerk „When We Were Young“, inklusive Kinder- und Jugendbildern auf Mega-Screen und dann fürs Publikum aus riesigen Konfetti-Kanonen, ist die 36-jährige vor dem Feuerwerk-Finale mit „Rolling In The Deep“ bei ihrem Durchbruchssong „Someone Like You“ dann endgültig den Tränen nah – und je näher Adele am Wasser gebaut ist, so scheint es, desto mehr wird sie von ihrem Publikum gefeiert. Alles Show? Wer weiß – vielleicht sogar aktuell the greatest show on earth. Auf jeden Fall eine neue Dimension in Sachen Liveentertainment. Allerdings ist das Star-Material für diese Dimension sehr, sehr begrenzt weltweit. Chapeau, Adele.