Der Führer und sein Demagoge – Unsere Redakteurin Dunja Bialas war in „Führer und Verführer“ von Joachim Lang. Unser Filmtipp des Monats.
Zwischen dem Führer und seinem Demagogen liegt nur ein minimaler Unterschied. „Führer und Verführer“, so der Titel von Joachim Langs Geschichtsstundenfilm über die Kriegs- und Untergangsjahre der deutschen Nazis, schiebt deshalb auch nur eine einzige Silbe zwischen Adolf Hitler und Joseph Goebbels, den obersten Propagandisten und Show Runner der Nazis.
Perspektiviert werden die Ereignisse im Dritten Reich unter dem Mythos der verführten Massen. Anfänglich scheint es gar, dass Goebbels Hitler überhaupt erst gemacht hat. Bald aber gibt der sich in seiner völkischen Ideologie zu erkennen, während Goebbels (Robert Stadlober) sich noch mit Frauen vergnügt und abgemahnt werden muss, auch weil seine Gattin (Franziska Weiß) mit der Scheidung droht – das würde das ganze Nazi-Projekt gefährden. Hitler, gespielt von Fritz Karl (der leider einen Bruno Ganz vermissen lässt), erscheint ansonsten unter der Wirkungsmacht des Propagandaapparats ziemlich blass. Letztlich geht es Regisseur Lang aber nicht um die Nuancierung allseits bekannter Personenkonstellationen und Machtverhältnisse. Die hybride Umsetzung des Stoffes ist das eigentliche Ereignis seines Films.
Archivmaterial und Spielfilmhandlung verweben sich: Zu den historischen Fakten fügt Lang reenactete Gespräche zwischen den Ober-Nazis Hitler, Goebbels, Himmler und Göring, die auf Recherchen und Zitaten basieren. Als Goebbels Veit Harlan mit dem antisemitschen „Jud Süß“ (1939) und „Kolberg (1945) beauftragt, werden die Pitching-Szenen direkt mit Ausschnitten aus den fertigen Filmen montiert: Goebbels improvisiert aus dem Stand die Entmenschlichungs- und „Totaler Krieg“-Schlachtrufe. So geht eins ins andere über: der politische Wille der Nazis in die Propagandaspielfilme, die Spielfilmhandlung in das authentische Archivmaterial, und das Material zurück in den Spielfilm von Joachim Lang.
Off-Record-Originalaufnahmen bei Pressekonferenzen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, bezeugen den ganz normalen Alltag der Propagandamaschine. Als zu Filmbeginn die Originaldiktion von Reichskanzler Adolf Hitler zu hören ist, vernehmen wir zumindest im Tonfall einen Politiker, der recht normal klingt: Die rhetorische Aufrüstung und das bellende Reden folgen est später. Die Spielfilmhandlung entlarvt auch die Inszeniertheit der Jubelveranstaltungen der Massen, die als Archivmaterial im Film enthalten sind, teilweise in Farbe: Das rückt die historische Wirklichkeit unangenehm an unsere Zeit heran, spätestens jetzt ist man an die Gegenwart erinnert, an den TikTok-Erfolg der AfD, an den Rechtsruck von Europa.
Nur wenige Juden sind den Nazis lebend entkommen. Regisseur Lang lässt einige Holocaust-Überlebende als Zeitzeugen vor die Kamera treten. Sie erinnern sich an die Ankunft in den Vernichtungslagern, wie ihre Eltern in die Gaskammer kamen, wie sie allein zurückblieben. Und wie schließlich ein Soldat mit einer Fellmütze und rotem Stern kam, sie anlächelte – und sie freikamen. Den Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, Charlotte Knobloch, Leon Weintraub, Eva Umlauf, Eva Szepsi und Ernst Grube überlässt der hybride Spielfilm das letzte Wort. Das mahnende Fazit: Es geschah. Und deshalb kann es wieder geschehen.
Dunja Bialas
In München können Sie den Film in diesen Kinos sehen.