Die Münchner Innenstadt ist im rasanten Wandel. Eine Glosse.
Einst belauschte ich in einer Münchner Trambahn zwei Touristen aus Berlin dabei, wie sie die bayrische und die deutsche Hauptstadt miteinander verglichen. Eine Diskussion beinahe so alt wie die Zeit selbst, aber dennoch – Einer ihrer Punkte hat mich stutzig gemacht: In Berlin gehe natürlich mehr, aber München besitze dafür ein einheitliches und schöneres Stadtbild. Innerlich stimmte ich der Analyse zu und seitdem habe ich beim Flanieren durch die Innenstadt oft den Begriff „Stadtbild“ im Kopf. Laut Wikipedia bezeichnet dieser die „Wirkung und subjektive Wahrnehmung eines urbanen Raums durch die Gesamtheit seiner kulturellen und natürlichen Bestandteile.“ Und ja, da hat München etwas einheitlich heimeliges. Zwischen Jugendstil, Neugotik, Klassizismus und Maximilianstil entsteht beim Wandeln durch die Stadt eine nicht fassbare Gesamtheit eines Eindrucks, den man wohl am besten einfach „München“ nennt. Und dass dieses Stadtbild im Jahre 2024 überhaupt noch besteht, nach dem zweiten Weltkrieg und nach „Der zweiten Zerstörung Münchens“, wie es Erwin Schleich im Titel seines legendären Buches über den Bau- und Abrisswahn der 1960er und -70er Jahre bezeichnet hat, ist fast schon ein Wunder. Aber nun die unbequeme Wahrheit: Vieles am Stadtbild scheint gerade in den letzten Jahren, seit Beginn der Corona-Zeit verloren gegangen zu sein. Nicht zuletzt durch den die Münchner in den letzten Monaten aus allen Medien anprangenden „Wirtschafts-Wunderwuzzi“ René Benko und das Immobilien-Imperium Signa.
Während das Unternehmen und seine Machenschaften schwer zu durchdringen sind, bleibt für unsere Innenstadt unter dem Strich aus diversen Gründen dennoch ein ernüchterndes Ergebnis: Der Kaut-Bullinger – geschlossen und das Haus abgerissen; Die alte Akademie nahe Stachus – seit Jahren verhüllt und die Mieter rechnen nicht damit, 2024 einziehen zu können; Das Hermann Tietz Haus (Hertie) zwischen Stachus und Hauptbahnhof – dümpelt teilsaniert vor sich hin und wird nicht, wie einst geplant von Galeria übernommen. Nur drei von vielen riesigen Baustellen und Leerständen, die die gar nicht mal so große Münchner Innenstadt prägen. Wenn schon nichts neues gebaut wird, könnte man ja zumindest die aktuellen Leerstände besser nutzen. Könnte man, wenn die Umsetzung von diesen Zwischennutzungen nicht so teuer und die Genehmigungen so schwer zu bekommen wären. Jüngstes Beispiel hierfür ist das gescheiterte Projekt „Lovecraft“ von Veranstalter Michi Kern im ehemaligen Kaufhof am Stachus. Dass dieses Projekt mit Kunstausstellungen, Möglichkeiten zu sportlicher Betätigung, Gastronomie etc. nicht zur Blüte gelangen konnte, ist wirklich schade. Auch wenn Zwischennutzungskonzepte langfristig keine Lösung für Münchner Miet- und Grundstückspreisfragen sind, wirken sie -als Übergang vor der Restauration- zumindest ohne das Stadtbild zu verändern, arbeiten mit vorhandenen Ressourcen, erfüllen Altes mit Leben und sind daher unbedingt zu fördern. Zweifelhafte Investoren wie Benko walten zu lassen und für einen abstrakt erhofften Aufschwung die Innenstadt für Jahre in eine Allee der Baustellen zu verwandeln, find ich abseits jeglicher finanzieller Interessen als Flaneur eher schwierig. Allein schon fürs Stadtbild.