Das Filmfest München begeistert auch Weltstars wie Jessica Lange und Kate Winslet, die dieses Jahr nach München kommen
Frau Weigl, Herr Gröner, Sie sind ja beide schon länger in Filmfest-Diensten. Trotzdem: Wie rechtfertigen Sie eigentlich immer noch vor Familie, Freunden und Bekannten, dass Sie ausgerechnet in der schönsten Zeit im Jahr immer in dunklen Räumen verschwinden?
Julia Weigl: Ich habe überhaupt nichts gegen dunkle Räume. Wir sagen ja immer, dass bei uns auf dem Filmfest im Sommer der Kinoraum eine gute Abkühlung bietet. Und unser neues Design spricht ja auch die Isar, das fließende Wasser mit seinen Strömungen, an. Wir denken da natürlich an Kino- und Filmströmungen, aber gleichermaßen eben auch an Erfrischung. Die kann man sich in München wunderbar im Kino holen.
Wer die Filmfestzeit kennt und liebt, weiß natürlich, dass der Kino-Genuss sowie das Darüber-Reden und Feiern bei Ihnen drinnen wie draußen stattfindet.
Weigl: Es ist ein Sommerfest des Films. Deswegen haben wir auch schon während oder kurz nach der Pandemie angefangen, einen Isar-Jump einzuführen. An dieser erfrischenden Tradition halten wir auch weiter fest: dreimal gehen wir während der Filmzeit in der Früh an die Isar.
Als Team, oder?
Weigl: Wir alle von der Filmfest-Crew – oder zumindest möglichst viele Vertreter aus dem Team. Und dann sind alle internationalen und die deutschen Gäste sowie Industrievertreter dazu eingeladen: Wir springen gemeinsam ins Wasser! Ich glaube, das München-Erlebnis-Gefühl vermittelt sich so ganz schnell.
Gröner: Und man ist frisch und wach.
Ihre Begeisterung, auch trotz der Mühen all der Jahre und dem gar nicht so leichten Improvisieren in Corona-Zeiten, ist weiterhin da. Frischen Wind musste man Ihnen nicht verordnen, oder?
Christoph Gröner: Für eine unserer ersten Geschäftsreisen hatten wir beschlossen, gemeinsam nach New York zum New York Film Festival zu fahren. Im Herbst waren wir dann in Sundance und in Los Angeles. Das hat uns sehr zusammengeschweißt – und auch motiviert, Veränderungen anzustoßen. Eine große Tradition des Filmfests München konnte in den letzten Jahren nicht mehr ganz so zum Tragen kommen: das US-Indie-Cinema. Früher waren wir da ganz stark. Dorthin wollen wir unter anderem zurück. Deswegen war es uns wichtig, noch mehr Leute vor Ort für das Filmfest zu begeistern. Als wir ihnen von dem familiären, nahbaren Konzept des Filmfests München erzählten, rannten wir offene Türen ein: Alle konnten was damit anfangen!
Weigl: Der Slogan, der jetzt öfter mal auftaucht – „More Telluride, less Toronto“ –, wurde uns von Amerikanerinnen und Amerikanern tatsächlich ein bisschen in den Mund gelegt.
Soll heißen?
Gröner: Mehr vom intimen Festival in den Bergen von Colorado, weniger hektisches Großstadtfestival. Weigl: Immer wieder hörten wir: Ihr findet im Sommer statt, es geht um Filmfamilie und ums Zusammensein, ums Kinoerlebnis, die große Film-Gemeinschaft. Das macht uns wirklich aus: Auch unsere Stars und unsere Gäste sind eben nahbar. Wir bieten Begegnungen im Kino und Filmtalks an, die für alle zugänglich sind.
Lassen sich denn die Großen der Branche gern auf so was ein?
Weigl: Das überrascht uns immer wieder selbst, wie nahbar viele Stars sich geben können. Wir haben immer versucht, auch die großen Namen hier zu haben, sie aber nicht abzuschirmen, also wegzusperren von Publikum. Wir wollen Begegnungen ermöglichen, was uns sehr wichtig ist. So haben wir es geschafft, Jessica Lange nach München zu holen.
Nicht schlecht. Wie kam der Kontakt zustande?
Weigl: Wir haben im Herbst in New York ihren Manager kennengelernt. Er war begeistert von der Idee. Und jetzt sehen wir, dass Jessica Lange ein totales Revival in New York erfährt: Sie ist jetzt neu für den Tony (Award) nominiert, es wird ein Dokumentarfilm über sie gemacht. Und wir haben die internationale Premiere der HBO-Produktion „The Great Lillian Hall“, die bislang nur in den USA läuft, aber noch nicht ins Ausland verkauft wurde, bei uns auf dem Filmfest. Den Film zeigen wir im Deutschen Theater.
Gröner: Das war ein expliziter Wunsch von Jessica Lange. Sie findet bisher aus der Ferne alles hier so toll. Auch, dass wir die Ausstellung mit ihren Fotos einmal über den Atlantik verschiffen, damit wir sie hier im Deutschen Theatermuseum ausstellen können. Diese Nähe, vielleicht diese Extrameile, die wir dann gern mit Leuten gehen, die wir gut finden, ist unsere Mission.
Deutsche Stars mischen sich auf dem Filmfest in München ja oft recht locker unters Publikum und sind nicht immer in Abendkleid oder mit Anzug und Krawatte unterwegs.
Weigl: Exakt, darum geht es uns ja. Das Filmfest München ist wirklich für alle Münchnerinnen und Münchner da. Jenseits der Eröffnung sind alle Veranstaltungen fürs Publikum offen. Man kann sich überall Tickets kaufen, die Filmgespräche sind kostenlos. Erstmalig machen wir dieses Jahr sogar am 28. Juni ein kostenloses Pre-Screening: Da zeigen wir dann ein Schmankerl aus den letzten Jahren: „After Sun“. Wir wollen damit zeigen: In München geht es uns wirklich um Entdeckungen. Der Film ist nach der Premiere bei uns weltweit richtig groß geworden.
Wo ruft man an, um Kate Winslet ans Telefon zu bekommen und sie zu einer Reise zum Filmfest München zu überreden?
Weigl: Unser Timing war glücklich. Ihr Film „Lee“, den wir zeigen werden, hatte seine Premiere in Toronto. Er ist dann noch so ein wenig dem damaligen Hollywood-Streik zum Opfer gefallen und erst einmal ein bisschen liegen geblieben. Der deutsche Verleih Studio Canal überlegte sich dann: Der Film passt doch perfekt nach München. Und das stimmt natürlich auch für uns genau so: Das bekannteste Bild der von Kate Winslet gespielten titelgebenden Fotografin: Lee Miller in Hitlers Badewanne!
Und wo stand die? In Hitlers einstiger Wohnung am Prinzregentenplatz?
Weigl: Genau. Es gibt im Film einen zentralen München-Bezug. Kate Winslet, die den Film auch coproduziert hat, hat einfach für sich entschieden: Wir müssen diesen Film in München zeigen. Und dann natürlich beim Filmfest.
Gröner: Es geht weniger darum, meistens direkt mit einem Star zu reden, als zu spüren, was diesen Menschen an München interessieren könnte. Wenn wir unsere Lockmittel zum richtigen Zeitpunkt setzen, kommen da oft ganz schöne Sachen raus.
Was auffällt, sind ja nicht neue Akzente bei der Struktur der Programmreihen, sondern auch, dass Sie immer weiter die Finger ausstrecken in die Stadtlandschaft: Diesmal kooperieren Sie ja nicht nur mit dem Deutschen Theater, sondern auch mit den Kammerspielen.
Weigl: Das ist definitiv etwas, was wir während der Pandemie gemerkt haben: Das Kulturbild wird nur sichtbar, wenn wir gemeinsam dafür einstehen – und die ganze Stadt daran arbeitet. Seit Jahren erproben wir das ja sehr erfolgreich mit dem Museum Brandhorst. Dort gehen wir jetzt in die nächste Runde – mit einem riesigen Aufschlag in diesem Jahr. Dort eröffnet passend zum Filmfeststart die Brandhorst-Großausstellung „The Party of Life“ zu Andy Warhol und Keith Haring. Dazu haben wir gemeinsam ein Filmprogramm konzipiert. Und erstmalig werden wir sogar im Medienraum des Museums Brandhorst mit vertreten sein.
Im Untergeschoss?
Weigl: Genau: Dort laufen drei Monate lang Videos zum Thema New York Underground und zu Hip-Hop, die wir gemeinsam mit dem Brandhorst und mit dem Museum of Modern Art in New York ausgesucht haben.
Gröner: Es ist toll, diese Offenheit zu spüren. Diese große Kulturinstitution in München will jedes Jahr mit uns noch weiter experimentieren. Das Brandhorst ist, glaube ich, unser Aushängeschild für Kooperationen. So etwas hilft für die Partnerschaft auch mit anderen Häusern: So haben die Kammerspiele mit „Planet Magnon“ einen Film selbstproduziert – nach dem Science-Fiction-Roman von Leif Randt. Und plötzlich kam dort die Idee auf: Es wäre doch perfekt, die gemeinsam mit Filmfest München zu starten – während des Filmfests.
Letzte Frage: Mit welcher Ausdauer-Strategie kommt man am besten durch eine Woche Filmfest mit so vielen tollen Filmen und Verlockungen?
Gröner: Ich denke, das Filmfest München bietet die perfekte Mischung an Filmen zwischen Unterhaltung, aber auch großem Weltkino und jüngeren Edgy-Entdeckungen. Da kann man sich ruhig einmal ein bisschen fordern. In der persönlichen Festivaldramaturgie die richtige Mischung hinzukriegen, ist wahrscheinlich die beste Survival-Strategie. Und auch wichtig: Viel Wasser trinken, ab und an ins kalte Wasser springen!