Eine Frau, die wirklich was bewegt in München: Stephanie Utz, Museums-Chefin im MUCA, kann es kaum erwarten, die Türen wieder aufzusperren. Und im neuen KUNSTLABOR 2 gibt sie nächstes Jahr richtig Gas.
Liebe Frau Utz, die Kinokomödien der „Nachts im Museum“-Reihe mit Ben Stiller kennt man ja. Was treiben eigentlich Ihre Kunstwerke im MUCA derzeit so hinter verschlossenen Türen?
Vielleicht Silent Disco?!
Wie oft kommen Sie denn in Ihr tolles, aktuell noch im Dornröschenschlaf dahinträumende Museum in die Hotterstraße, um ihre „Lieblinge“ wachzuküssen oder den Trennungsschmerz von Kunstwerken zu lindern, die so gerne Publikum hätten?
Fast täglich. Manche Menschen reden mit ihren Blumen oder Haustieren, ich mit unseren Kunstwerken.
Gerade im Bansky-Monumentalwerk „Are You Using That Chair?“, das das berühmte Edward-Hopper-Bar-Motiv „Nighthawks“ aufgreift, steckt ja viel Kraft, aber auch Wut und Verzweiflung. Was hört man aktuell, wenn man ganz nah an die Leinwand hingeht?
Man hört vielleicht nichts, aber man sieht den Zeitgeist. In Corona-Zeiten eröffnen sich neue Blickwinkel auf die Kunst. „Nighthawks“, das Original von Hopper, zeigt Menschen voll Einsamkeit und Unzugänglichkeit, beides hoch-emotionale Themen des Lockdowns. Man könnte interpretieren, dass Banksy mit seiner Version noch einen draufsetzt, in dem er den Wutbürger die Scheibe als Spiegel dieser Emotionen einschlagen lässt.
Die große Doppelausstellung Richard Hambleton – Bansky war gerade fertig, bekam tolle Presseberichte im Vorfeld und musste kurz nach dem Start auf Grund des neuen Lockdows wieder schließen. Hand auf Herz, wie steckt man solche Adrenalinschübe eigentlich weg?
Natürlich waren wir sehr enttäuscht, aber auch gleichsam dankbar, dass wir das Opening-Wochenende noch durchführen konnten. Für unser gesamtes Team ist es ein sehr wichtiger Moment, wenn nach wochenlanger, harter Arbeit endlich die Türen aufgehen und wir in begeisterte Besucher-Gesichter blicken.
Corona hat vor allem der Künstler-Szene einen fetten Strich durch die Rechnungen gemacht. Wie viele schlaflosen Nächte haben Sie die zahllosen Planungen und Umplanungen in diesem Jahr eigentlich bislang gekostet?
Gerade in sehr schwierigen Planungsphasen versuche ich, möglichst viel zu schlafen, um fit für lange Meeting-Tage und Entscheidungsrunden zu sein. Und davon gab es so einige in den letzten Monaten.
Zum Glück gibt’s ja endlich Anlass zur neuen Hoffnung. Was sagt Ihr Bauchgefühl: Wann können Sie das MUCA wieder aufsperren und wie groß ist die Vorfreude?
Ich bin mit Prognosen vorsichtig geworden, aber ich glaube an ein erfolgreiches 2021 und freue mich auf den Jahreswechsel. Insbesondere da wir 2021 ein MUCA-Jubiläumsjahr feiern und in diesem Zuge weitere, ausgewählte Meisterwerke der Öffentlichkeit präsentieren werden.
Wie so viele Kollegen haben Sie ja nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern erzwungene Pausen-Zeiten zupackend genutzt. Das MUCA konnten Sie in den vergangenen Wochen ja sogar etwas erweitern und neu gestalten. Auf was darf man sich freuen?
Neben den beiden neuen Ausstellungen hat das MUCA seine Flächen um einiges erweitert und auch den angrenzenden Hochbunker in der Hotterstraße endlich integrieren können. Das MUCA hat den ehemaligen Luftschutzbunker neu inszeniert und mit modernen Installationen, und aufwendigen Wandbildern wieder zum Leben erwecken. Zusätzlich soll der Bunker zu einer Art Historienüberblick der Entwicklungsgeschichte von Street Art werden, in dem sich der Weg dieser urbanen und modernen Kunstform ergründen lässt.
Sie inszenieren den Raum ja immer wieder neu und tauschen für große Ausstellungen wie aktuell komplett die Bestände aus. Sind Sie eigentlich auch privat ein Fan vom Radikalausputzen, oder bleibt da nicht mal ein Moment von Wehmut, wenn man alles neu gestaltet und Altes verschwinden muss?
Ich wünschte, ich wäre privat nur ansatzweise so radikal. In den eigenen vier Wänden bleiben Umgestaltungsideen meist nur gute Vorsätze. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich in unseren Projekten maximal kreativ austoben darf. Wehmut empfinde ich nicht, vielmehr große Freude am Vorher-Nachher-Effekt.
Temperament und Phantasie, Räume völlig neu zu denken, haben Sie ja für mindestens gleich mehrere Museumsmacher. Wie oft denken Sie eigentlich noch an die erste große Verwandlung eines Trafo-Gebäudes in Münchens aktuell aufregendstes neues Museum zurück?
Sehr oft, vor allem weil wir in diesem Verwandlungsprozess sehr viel gelernt haben. Diese Lernkurve dient mir als interner Kompass für andere Projekte. Das MUCA ist unser „Erstgeborenes“ und wird stets einen sehr wichtigen Stellenwert haben.
Was viele oft nicht so ganz wissen: Das MUCA wird ja privat betrieben und nicht subventioniert. Ganz schön mutig, auch in Zeiten, die noch ruhig waren. Woher nehmen Sie eigentlich die Energie und Leidenschaft für so viel Risiko?
Auch wenn es pathetisch klingen mag, aber ich empfinde es als großes Privileg, das tun zu dürfen, was mich beruflich erfüllt. Und da ich dies nicht für selbstverständlich halte, bin ich bereit auch steinigere Wege zu gehen.
Ihr Spirit ist ansteckend. Und die Energie scheint ja kaum nachzulassen. Nach der allerorten gefeierten Kunstlabor-Zwischennutzung in der Landsberger Straße in Laim haben Sie sich ja schon längst wieder ins nächste Großprojekt gestürzt. Greifen Sie morgens eigentlich als erstes zum Baustellenhelm und zu den Gummistiefeln, wenn es aus dem Haus geht?
Zumindest deutlich häufiger als zum Abendkleid. Mag auch daran liegen, dass ich mehr (Gummi-)Stiefel als High Heels besitze.
Wie steht es denn um die Arbeiten und Vorbereitungen im neuen großen Zwischennutzungsprojekt im alten Gesundheitsamt?
In manchen Teilen besser, in anderen schlechter als gedacht, insbesondere da niemand Corona in der Projektplanung hatte.
Bei der Ausschreibung für die Kreativ-Nutzung des Backstein-Blocks in der Dachauer Straße hatte sich das MUCA-Team einst gegen gleich mehrere Mitbewerber durchgesetzt. Was war Ihrer Meinung nach die zündende Idee, die alles positiv entflammte?
Es wurden viele tolle Ideen eingereicht, und alle hätten den Zuschlag verdient. Daher haben wir einige der Mitbewerber auch partnerschaftlich ins Kunstlabor-Konzept eingebunden.
Nobler Zug. Beim Kunstlabor 2, wie es ja dann heißen soll, ist ein Mix aus Werkstätten, Ausstellungsflächen, Gastronomie und Begegnungsorten vorgesehen. Was dürfen Ihre Besucher alles konkret erwarten?
Mit knapp 10.000 Quadratmetern Fläche auf sechs Etagen und weiteren 6.800 Quadratmetern Außenbereich bietet das ehemalige Gesundheitshaus noch mehr Platz, um ein erweitertes Konzept des ersten Kunstlabors umzusetzen. Die Ausstellungsflächen werden sich über eine Vielzahl von unterschiedlichen Räumen, verteilt auf zwei Etagen, erstrecken. Im Sinne eines großen, kreativen „Think-Tanks“ wird das Kunstlabor 2 Arbeitsräume für Künstler/innen schaffen, die sich untereinander, aber auch innerhalb weiterer Partner aus der Kreativwirtschaft vernetzen. Darüber hinaus wird ein genreübergreifendes, umfangreiches Rahmenprogramm mit Live-Paintings, Konzerten, Lesungen, und Workshops angeboten werden.
Ausgeschrieben ist die Zwischennutzung ja für fünf Jahre. Einige Zeit ging ja schon für die Corona-bedingten Verzögerungen drauf. Werden die eigentlich dann am Ende doch wieder angehängt?
Zum Glück läuft die Zeit nicht gegen uns, da sind wir uns mit der Stadt einig.
Letzte Frage: Wer so viel auf die Beine stellt, braucht ja schon ein extrastarkes Rückgrat und gut aufgefüllte Gute-Laune-Batterien. Wie muss man sich Ihren persönlichen Kraft- und Rückzugsraum vorstellen, in denen Sie auch dann wieder Energie tanken, wenn schon wieder die neuesten hochkomplizierten Hygiene- und Abstandsregelungen ins Haus flattern?
Rückzug als Anti-Stress-Mittel klappt bei mir nur sehr kurzweilig, weshalb ich irgendwann beschlossen habe, Herausforderungen als tägliche Resilienz-Übung zu betrachten. Je mehr du dich stellst, desto besser kommst du über die Hürden des Alltags. Hast du die Hürde erfolgreich genommen, lässt sich daraus wiederum Kraft und Motivation für Neues schöpfen. In diesem Kreislauf versuche ich eine gute Balance für mich zu finden.