Zum Beginn des neuen Jahres dürfen natürlich die guten Vorsätze nicht fehlen. Klassiker wie mehr Sport, mit dem Rauchen aufhören oder weniger Online-Zeit bleiben stetig beliebt. Eine Weile auf Alkohol zu verzichten, kann nach dem punschlastigen Dezember nicht schaden. Bei vielen hält dieser Vorsatz bis zum ersten Familienfest, das angedudelt einfach doch lustiger ist. In meinem Fall stellt der Geburtstag meiner Mama meine alkoholfreie Phase auf die Probe – und der ist am 2. Januar. Das geht ja schon gut los!
Wobei, wenn man nicht allzu streng ist, zählt der Tag ja fast noch zum alten Jahr, als verlängerter Silvester-Schwipps quasi. Nicht zu streng mit sich selbst zu sein, ist ein sehr schöner Vorsatz. So wird aus dem vermeintlichen Versagen ein Akt der Selbstfürsorge.
Wer sich einen „Veganuary“ vornimmt, verzichtet den ganzen Monat auf tierische Produkte. Immer mehr Menschen schließen sich dieser Bewegung an. Die Initiative spekuliert auf einen Gewöhnungseffekt über die ersten 31 Tage des Jahres hinaus. Die Lebensmittelindustrie unterstützt dieses Vorhaben mit Rezeptideen und neuen veganen Produkten. Im Supermarkt tummelt sich ohnehin schon ganzjährig eine Vielfalt veganer Angebote von Wiener über Weißwurst, Fischstäbchen bis zu Hack, alles in tierleidfreier Version. So will man vor allem die „Flexitarier“ locken, die prinzipiell weniger Fleisch konsumieren, aber ihre Koch- und Geschmacksgewohnheiten nicht zwingend umstellen möchten. Die Nachfrage scheint zu stimmen, aber auch die Empörung ist groß. Manch Fleischfan fühlt sich provoziert davon, wenn das geliebte Schnitzel plötzlich in der veganen Version erscheint. Diese Wut bricht sich dann gern in den sozialen Netzwerken Bahn. Wer zu solchem Protestverhalten neigt, dem sei dringend eine Drosselung seiner Online-Zeit empfohlen. Sollte das dem eigenen seelischen Frieden nicht helfen, es wäre wenigstens eine Verschönerung des sozialen Online-Klimas.
Besonders zum Jahresbeginn steigt der Wunsch nach Selbstoptimierung, egal ob es um Ernährung, Sport oder mentale Gesundheit geht. Atmen – wie oft wird das als selbstverständlich angesehen! Genauso wie Schlafen. Wer unter Einschlafschwierigkeiten leidet, greift längst zu Melatonin in Form von Kapseln, Tee oder Spray. Kinder werden mit Melatonin-Gummibärchen in den Schlaf gefüttert, so belegen es zumindest gut gemeinte Eltern-Tipps auf Instagram.
Doch auch der Schlaf selbst lässt sich optimieren, und zwar indem man sich den Mund zuklebt. #Mouthtaping heißt der schräge Trend, der für besseren Schlaf sorgen soll. Mit einem Klebeband verschließt man den Mund, um die Atmung durch die Nase zu fördern. Die ist bekanntermaßen tiefer und schonender, wirkt beruhigend, senkt den Blutdruck und steigert die Ausdauer. Inwieweit das Mund-Zukleben diese Effekte hervorruft, ist freilich nicht erwiesen. Die Gefahren liegen allerdings auf der Hand. Ein kleiner Schnupfen reicht, und die Nacht wird zum Abenteuer. Das muss es sein, was Charles Darwin mit „Survival of the Fittest“ gemeint hat. Menschen kleben sich freiwillig nachts den Mund zu, um die eigene Überlebensfähigkeit zu prüfen.
Es gibt spezielle Tapes für den Mund, die gar nicht mal so günstig sind. Wer das nicht zur Hand hat, greift einfach zum altbewährten Gaffer Tape. Das ruft vermutlich Ausschlag hervor, allerdings spart man sich auch die Rasur am nächsten Tag, wenn beim Entfernen alle Barthaare sanft mit abgezogen werden. Außerdem ist da noch der Sicherheitsaspekt: Sollte ein Einbrecher des Nachts ins Schlafzimmer schleichen, sieht dich mit zugebapptem Mund im Bett liegen, macht der gleich wieder kehrt, weil er denkt, der Kollege war schon da.
Bekanntester Vertreter der Mouthtaper ist Erling Haaland, Top-Stürmer von Manchester City. Offensichtlich fördert der Trend die Torgefährlichkeit. So erscheint das Bild von der Deutschen Nationalmannschaft aus der WM in Katar rückblickend in ganz neuem Licht. Die Spieler hielten sich alle den Mund zu, was fälschlicherweise als Protest gegen die Fifa interpretiert worden war. In Wahrheit waren die Jungs einfach nur müde. Bleibt zu hoffen, dass die DFB-Elf für die EM in diesem Jahr ausreichend Tape mitbringt, um gut ausgeschlafen endlich wieder erfolgreich Fußball zu spielen.
Claudia Pichler ist Münchner Kabarettistin und Autorin. Ab Februar ist sie mit ihrem neuen Programm „Feierabend“ auf den Kleinkunstbühnen in Bayern und dem Rest der Welt unterwegs. www.claudiapichler.com