Doping an den Kammerspielen und Der Besuch der alten Dame am Volkstheater
Dem Neoliberalismus, namentlich: der FDP, kräftig eins auf die Mütze, und eine Reverenz an die Leistung der Frauen, die das System tatsächlich am Laufen halten: darauf zielt die neue Politfarce „Doping“ von Nora Abdel-Maksoud, die jetzt unter großem Jubel an den Kammerspielen uraufgeführt wurde.
Ehrgeiziger FDP-Politiker, mit allen rhetorischen Mitteln gewaschen (Vincent Redetzki), hat ein Problem: er nässt sich ein und kippt um, mitten in der heißen Wahlkampfphase. Das muss schnellstens behoben werden: also wird er von seinem raumgreifenden Schatzmeister (tief gebräunt, blitzende Kauleiste: Stefan Merki) und dessen schwangerer Tochter, Pressefrau und ewige Zweite auf der Parteiliste (Şafak Şengül), in eine seltsame Klinik verfrachtet. Mit seltsamem Personal: Chef Dr. Bob hat Schwimmhäute zwischen den Fingern – Wiebke Puls, tiefenentspannt im Slang ihrer norddeutschen Heimat –, die Assistentin, auch Geliebte (Eva Bay), heilt durch bloße Umarmung.
Einmal mehr bohrt Nora Abdel-Maksoud – ihr Renner, die Erbkomödie „Jeeps“, läuft immer noch an den Kammerspielen – abgründig-intelligent in unsere Gesellschaft hinein. Dabei verlässt sie sich in „Doping“ nicht auf billiges Polit-Bashing, sondern packt den neoliberalen Wertekanon grundsätzlich am Nasenring und zieht ihn durch die Manege: Leistungsprinzip, der Markt, Care-Arbeit, Gender-PayGap, Krankenhausprivatisierung – alles drin. Hochwitzige Aufklärung mit Mehrwert – und überbügelt auch das Argumentationstempo manche Nuance: diesem niederknienswürdigen Ensemble würde man alles verzeihen.
Was bedeutet der Tod eines Menschen, wenn es dadurch allen besser geht? Friedrich Dürrenmatts Schulklassiker aus den 1950er Jahren „Der Besuch der alten Dame“ holt die 35-jährige Sapir Heller (Textbearbeitung, Regie) ins Heute, der Untertitel „Auftritt der Enkelin“ zeigt, wohin es geht am Volkstheater. Die Geschichte der jungen Frau, die – unehelich schwanger – aus dem Dorf Güllen vertrieben wird, und dann, reich geworden, zurückkehrt und den Tod des Vaters ihres Kindes verlangt, wird zwei Generationen weitergedreht: die Enkelin, eine Pop-Sängerin, kommt für ein Konzert ins Dorf der Großmutter. Bürgermeister, Lehrer, Pfarrer, Polizist, Ärztin kriegen sich gar nicht mehr ein, denn Güllen ist klamm und hofft, wie im Urtext, auf eine Finanzspritze, nun eben von der (vermeintlich) geldigen Enkelin.
„Home sweet home“ steht über der Bühne, doch das nackte, verästelte Baumskelett darunter droht schon mit Unheil. Die Geschichte, von der Nina Steils (die Claire heißt, wie die Oma) noch nichts weiß, kommt auch hier hoch. Alfred – Jonathan Müller, sympathisch normal im Vergleich zum durchgeknallten Rest des Dorfes –, dessen Großvater einst die Vertriebene geschwängert hatte, nennt die alte Sache „Vogelschiss“. Eine Provokation für Claire, und obwohl sie Alfred durchaus anziehend findet, wird sie es auf die Spitze treiben: „Konjunktur für eine Leiche!“ Sapir Hellers kluge Fortschreibung bleibt ganz im Sinne Dürrenmatts eine „tragische Komödie“, der Witz, von subtil bis laut, liefert die nötige Fallhöhe, um zu unterstreichen, wie das Schweigen zur Vergangenheit die Gegenwart vergiftet. Ergebnis: eine eindringliche Verhaltens-und Konfliktstudie, im Hinterkopf Max Mannheimers legendäre Mahnung: nachfolgende Generationen tragen nicht Schuld aber Verantwortung, damit sich Geschehenes nicht wiederholt. Ein großer, ein wichtiger Abend. Langer Beifall.