Mit dem Bingo hat ein Weinbistro im Glockenbachviertel eröffnet, das zwar hip aber auch richtig gut ist
Man kennt sich, Bussi hier, Handshake da – alles easy und relaxt, wie es eben zugeht in der jungen Münchner Gastronomie. Leider haben sich ein paar Neueröffnungen in den letzten Jahren, die anfangs ambitioniert den bisschen eingeschlafenen Gastro-Sektor bespielt haben, bei weiteren Besuchen als ziemlich in den Trott gekommen, bisschen arrogant aufgrund des zumindest zeitweiligen Social-Media-Hypes und einer gewissen Überforderung der Betreiber*innen, die dann doch lieber wieder an der Isar/auf Ibiza/in Mexiko wären, herausgestellt. Auch manche Gesichter, ob Küche oder Personal, ziehen bereits nach ein paar Wochen/Monaten wieder weiter mit der Gastro-Karawane Richtung nächster Neueröffnung. Man darf hoffen, dass dem Bingo, einem kleinen Bistro im ehemaligen Süßmund im ehemaligen Wildbräu-Stehausschank am Knotenpunkt Klenze-, Jahn- und Westermühlstraße mitten im Glockenbachviertel, nicht dieses Schicksal blüht – denn es wäre schade drum. André Meier, Betreiber der Bar The High in der Blumenstraße, sein Restaurantleiter Corvin mit Team und die Küchenbrigade – drei Leute für rund 22 Plätze, die aber meistens doppelt belegt sind – wirken vorerst richtig engagiert, was sich auf einer kleinen, interessanten Wein- und einer wechselnden Wochenkarte mit „nur“ neun Gerichten plus einem Tagesgericht ausdrückt. Man legt Wert auf Region: Auf der Rückseite sind die Erzeuger und Produzenten aufgeführt, darunter bekannte Namen wie die Landfrau Metzgerei aus Fürstenfeldbruck, die Fischerei Sebald aus Ammerland am Starnberger See, der Kartoffelhändler Casper Plautz und der Pilzstand Zollner vom Viktualienmarkt.
Auf der Weinkarte liegt der Schwerpunkt nach dem ewigen Italien und den deutschen Boomer-Jahren mal wieder auf Frankreich: Loire, Chablis, Burgund, Beaujolais, Rhône und Languedoc-Roussillion bis in die Provence (Weißweine von 39 bis 66/Rotweine von 44 bis 72 Euro). Der mit 14,5 % für einen Pinot Noir ein bisschen kräftig ausgefallene Sauvigny Les Beaune von der Domaine Arnoux (69) ist trotzdem empfehlenswert – guter Winzer, der Premier Cru des Weines wurde gerade vor Ort in Beaune probiert. Ergänzt wird die Liste mit einem Posten aus Slowenien (Michael Gross, Haloze Cuvée aus Furmint, Sauvignon Blanc und Welschriesling, 46 Euro) und zwei österreichischen Weißweinen, darunter ein sehr gelungener Grüner Veltiner von Markowitsch (40).
Zu einem mittelgroßen knackfrischen Kopfsalat (9), der etwas aufgeblättert im Ganzen (!), mit einer wunderbar süßen „Wiener Marinade“ mit Schnittlauch serviert wurde, gesellte sich ein eher verhaltener Dip mit Croutons. Der Salatkopf ist aufgrund der tollen Produktqualität mehr als ein Gag und lässt sich gut zu zweit als Vorspeise teilen. Dagegen wäre der warme Toast mit Kohl, geschmolzenem Käse und Habanero-Majo (12) eher als Barfood zu einem Gläschen Rosé (6,50) von Pittnauer aus dem Burgenland zu empfehlen – anschließend braucht man eigentlich nichts mehr. Zu einem Fläschchen schön aromatischen und eher säurearmen Grauburgunder vom Weingut Villa Wolf aus der Pfalz (29) dann das auf den Punkt gebratene Saibling-Filet mit richtig rescher Haut – ganz hervorragend. Dazu ein gutes Emmer-Risotto mit grünem Spargel und einer schönen Meerrettich-Sahnecremesoße – von der angekündigten Salz-Zitrone haben wir nichts geschmeckt, oder sie wurde vergessen. Zum einem medium gegarte Rinderfilet mit einer Cognac-Pfefferrahmsoße, gerösteten Kartoffeln und Gemüse (32) passte bestens ein Glas offener Cabernet Sauvignon (6,50) von Lenné – das Gericht und die Kombination sind so altmodisch und gut, dass man dem Bingo dankbar sein darf, dass es nicht auf den völlig überteuerten Speisekarten der Edel-Steakrestaurants als Seniorenteller in Vergessenheit gerät. Zum Nachtisch eine „Gratiné Basilisk“ (4) – genau, gefrorenes und geschabtes Basilikum-Wasser, so einfach, so genial.
Fazit: Liebes Bingo-Team – praktisch alles richtig gemacht, tolle Kombination aus moderner und traditioneller Bistro-Küche mit guten, regionalen Produkten, beste Stimmung, angenehme Musik, Preis-Leistung geht in Ordnung. Weinauswahl könnte man noch ein bisschen aufpeppen, Naturweine sollten verstärkt aufgeführt werden. Bitte dranbleiben, auch wenn der Insta-Hype nachlässt – denn dann kommen die Genießerinnen und Genießer.
Rainer Germann
Bingo, Westermühlstraße 13
Di-Sa 18 bis 22 Uhr, Reservierung: [email protected], Instagram