Rupert Gerhard

Rupert Gebhard von der Archäologischen Staatssammlung München im Interview

Nach acht Jahren Jahren Umbau und Renovierungspause kann Rupert Gebhard die Archäologische Staatssammlung endlich aufsperren. Große Vorfreude!

Herr Gebhard, als Direktor einer archäologischen Sammlung sind Sie ja das Denken in großen historischen Bögen gewohnt. Wie viel Gelassenheit gab Ihnen das, als es beim Umbauprozess in Ihrem Haus doch wieder etwas länger dauerte?
Es ist ein großer Spannungsbogen, den wir nun endlich hinter uns gebracht haben. Wir steckten nicht nur in einer Generalsanierung, sondern bereits seit vielen Jahren auch in der Weiterentwicklung des Hauses. Der Umbauprozess wurde in den 90er-Jahren angestoßen – mit dem massenhaft vermehrten Auftreten neuer archäologischer Funde. Damals hatten wir begonnen, den Depotbereich zu erweitern, dann ging’s um den Neubau der Restaurierungswerkstätten und dann an den Abschluss: die Generalsanierung und Erweiterung des Museumsgebäudes an der Lerchenfeldstraße. Heißt: Wir haben das Museum an moderne Verhältnisse anpasst.

Und wie steht es um die Gelassenheit?
Wir hatten schon seit einiger Zeit das Problem, dass wir bei groß angelegten Sonderausstellungen wie etwa der großen Pompeji-Ausstellung mit Sonderprogrammen raumtechnisch unsere Dauerausstellung kannibalisierten. Deswegen haben wir jetzt zusätzlichen Raumbedarf berücksichtigt. Das schafft Entlastung – und ein wenig Gelassenheit. Wenn man schon eine Generalsanierung vornimmt, ist es ja sinnvoll, auch Verbesserungen am Raumprogramm und an den Präsentationsmöglichkeiten für die Dauer- und unsere Sonderausstellungen zu erzielen. Die größte Veränderung ist ein neuer unterirdischen Sonderausstellungsraum.

Unter der Erde: passend für Archäologen.
Der unterirdische Saal umfasst knapp 600 Quadratmeter und ist freitragend konstruiert, zudem voll ausgestattet mit der Technik, die man braucht, um solch ein Haus zukunftsfähig zu halten. Wir haben nun mit Digitaltechnik und Glasfaserverkabelung die technischen Möglichkeiten, um auch in den nächsten Jahrzehnten adäquat moderne Ausstellungen anbieten zu können.

Über Rupert Gebhard:
Schon als Schüler nahm Rupert Gerhard, der aus München stammt und ans Wilhelmsgymnasium ging, an Grabungen teil. Seine Faszination für Archäologie hat ihn nicht mehr losgelassen. Viele Forschungsreisen führten ihn rund um die Welt, als ein Indiana-Jones-Professor versteht er sich trotzdem nicht. Seit 2010 ist er Leitender Sammlungsdirektor der Archäologischen Staatssammlung München. Das Haus am Englischen Garten, hinter dem Nationalmuseum, wird ab 17. April wieder eröffnet. www.archaeologie-bayern.de

Um Ihre Besucher neugierig zu machen: Wie findet die Bestandssammlung in den neuen Räumen Platz – was bleibt von früher, was kommt frisch dazu?
Wir haben jetzt ein ganz anderes neues Konzept. Früher war es ein Gang von der Steinzeit, also vom ersten Menschen in Bayern, bis zu Karl dem Großen. Ein chronologischer roter Faden. Jetzt gehen wir thematisch vor. Dadurch haben wir natürlich auch ganz andere Objekte ausgewählt, um unsere Inhalte abzubilden. Es findet sich aber auch eine große Anzahl an Objekten, die Besuchern von vor unserer Schließung noch vertraut sein dürften –„alte Bekannte“ sozusagen!

Das römische Fußboden-Mosaik?
Das kommt natürlich wieder vor. Es gibt Highlights, die sind geblieben. Aber ansonsten präsentieren wir unsere Sammlung schon bunt gemischt – auch mit sehr vielen neuen Dingen.

Wie sieht denn zum Beispiel so ein neuer thematischer Raum bei Ihnen aus?
Wir geben unseren Räumen Überschriften und Themen, mit denen ich die Besucher abholen kann. Es geht damit los, dass man den heutigen Menschen mit dem Menschen der Vorzeit konfrontiert. Soll heißen: Der erste Raum ist dem Menschen selbst gewidmet, der zweite Raum dreht sich um die Zeit. Beide Begriffe sind für uns zentral.

Wie muss man das verstehen?
Wir wollen wissen: Wie lebte der Mensch, was ist der Mensch, wie hat er sich definiert, wie ist er mit der Umwelt umgegangen, wie hat er sich als soziales Wesen eingebunden in größere Gemeinschaften oder Gruppen? Das sind Kernfragen, die sich durch die ganze Ausstellung ziehen. Und dann ist es für uns natürlich wichtig, zu wissen, wie alt etwas ist. Ich kann nicht einen Römer einfach so mit einem Menschen vergleichen, der in der Altsteinzeit oder im Mittelalter gelebt hat. Ich muss zuerst einmal eine präzise Vorstellung von Zeit haben, um Kulturerscheinungen beurteilen bzw. verstehen zu können. Zudem thematisiert die Ausstellung die Arbeitsweise und Aufgaben von Archäologen: Wie funktioniert Archäologie? Wie graben die Archäologen aus? Was gibt es für Hindernisse? Wie analysiere ich die Funde – und wie verwandle ich sie dann in Geschichten, die ich Besuchern vermitteln kann.

Was gibt es dann dort etwa zu sehen?
In einem dieser Räume, einem Lichthof, stellen wir einen Brunnenschacht vom Marienhof aus, der die Leute sicher überraschen wird. Er wurde vor wenigen Jahren bei den S-Bahn-Arbeiten entdeckt. Es ist also ein Fund, über den die Leute Jahrzehnte lang im Marienhof drüber gelaufen sind – ohne zu wissen, wie viel spannende Geschichte sich unter ihren Füßen verbarg. Jetzt sieht man den Brunnenschacht drei Meter hoch aufgerichtet. Von ihm weiß man zum Beispiel ganz genau, wie alt er ist – ein Thema, das wir ja beleuchten wollen.

Der Marienhof-Brunnen war mit Holz ausgeschachtet?
Mit jeweils rund zwei Meter langen Holzbalken. Der Schacht hatte verschiedene Funktionen – zuletzt diente er als Latrine! Er war so konstruiert, dass Kies und Erdreich nicht reinrutschen konnten. Soll heißen: Er war verkehrt herum verschalt, so dass der Druck von außen wirkte. Dieses Prinzip kann man in der Ausstellung in einem Modell nachvollziehen und den Effekt selbst ausprobieren. Wir haben in vielen Räumen versucht, zusätzliche didaktische Mittel einzubinden, um sogenannte „Handson-Stationen zu ermöglichen. Ein Medienguide und digitale Systeme erschließen den Besuchern dann weitere Hintergründe.

Damit dann jüngere Besucher den heimischen Vorgarten fachgerecht verschachten können?
(lacht) Genau. Jeder weiß dann, wie so ein Bau funktioniert. Mir ist schon wichtig, dass die Leute ein Bild von unserer Arbeit bekommen, die oft ja ganz anders aussieht, als man sich das gemeinhin so vorstellt.

Verraten Sie das Geheimnis?
Das wahre Archäologen-Leben hat leider wenig mit Indiana Jones zu tun. Man reist nicht immer nur durch die Weltgeschichte, auf der Jagd nach DEM Schatz.

Wie geht es denn im Schau-Programm weiter?
Im Grunde werden lauter einzelne Geschichten erzählt zu den Umständen, unter denen die Funde entstanden sind oder geborgen wurden – etwa aus der Römerzeit, aber auch aus der Französischen Revolution. Der letzte Teil des ersten Rundgangs ist ein Raum über den Tod.

Ernste Geschichte!
Bestattungen sind eine wesentliche Quelle der Archäologie – bei uns mit Funden aus der Altsteinzeit bis zur frühen Neuzeit. Unser erster Rundgang (von zweien) „Abenteuer Archäologie“ wäre eigentlich im Grunde genommen schon für sich ein abgeschlossenes Museum. Diese Ebene hat eher Erlebnischarakter, beim zweiten Rundgang oben geht’s zu den Schätzen aus unserer Sammlung – dann wieder klassisch in der Zeitfolge angeordnet. Wir sind ja Sammlung und Museum in einem!

Wie kamen Sie denn auf die tolle Idee, bei der neuen Präsentation den Comiczeichner Frank Schmolke einzubinden?
Wir hatten hier die Herausforderung: Wie illustriere ich etwas, was ich nicht genau kenne, sondern nur rekonstruieren kann? Ich will keine fotorealistische Scheinwelt inszenieren – bei Themen, bei denen niemand ganz genau eine Ahnung haben kann, wie das früher im Detail ausgesehen hat. Daher die Idee, jemanden mit einzubinden, der kein Archäologe ist, die Fundzusammenhänge und Geschichten aus der Zeit aber mit Fantasie illustrieren kann. Quasi eine Fiktion, aber mit realen Elementen der Archäologie! Comics sind zudem ein Medium, das auch junge Leute anspricht – so können sie sich stärker in die Welt von früher vertiefen.

Muss man sich als Besucher eigentlich fürchten, bei Ihnen ins neue Haus zu kommen, wenn man zum Beispiel im Schulfach Geschichte ab und an mal eingeschlafen ist?
Überhaupt nicht. Zunächst einmal haben wir ja einen frischen Ansatz und gute Vermittlungsangebote. Und dann gibt es natürlich immer noch die Möglichkeit, das selbst zu steuern. So besuche ich selbst beispielsweise Museen: Ich gehe immer völlig ahnungslos ins Museum und überlege mir zum Spaß lediglich, welches Objekt ich mir privat am liebsten aufstellen würde. Dann schaue ich mir die Sachen automatisch schon immer sehr intensiv an.

Guter Tipp.
Mir ist es wichtig, dass die Leute so eine Ausstellung für ein einfaches, aber schönes Ziel nutzen: Um das Sehen wieder zu lernen!